: Die nicht unpolitisch sein dürfen
Einige wollen dokumentieren, andere Kunst erschaffen, subjektiv, subtil oder mutig. Enorm schwer ist es für junge afrikanische Fotografen, Westeuropäern beizubringen, dass es einen afrikanischen Alltag jenseits der Klischees gibt. Einer kleinen, feinen Ausstellung in Hamburg gelingt es
VON PETRA SCHELLEN
Das Problem ist nicht die fehlende Nähe. Das Problem dieser Fotos ist die fehlende Distanz des Betrachters. Das klingt zunächst absurd, stehen Bilder aus Afrika doch prinzipiell nicht in dem Ruf, sich beim Europäer anzubiedern. Was dessen objektiven Blick aber behindert, ist erstarrte Erwartung: Durch Medienoptik geprägt, sucht er manisch das „typisch Fremdartige“ auszumachen, anstatt wertfrei aufzunehmen, was sich ihm bietet. Auch wenn dies unbewusst geschehen sollte, bleibt doch die Tatsache, dass eine solche Perspektive letztlich rassistisch ist. Kommentierte man sonst eine abendliche Straßenszene aus Lagos anders als eine aus Braunschweig oder Kiel? Warum lässt das Aussehen der abgebildeten Personen sofort den inneren „fremdartig“-Scanner anspringen, ohne dass man Details überhaupt zur Kenntnis nähme?
Mit dem Dilemma belasteter Wahrnehmung kämpft auch die aktuelle Ausstellung „Planet Afrika“ in der Hamburger Galerie Hengevoss. Sie präsentiert sieben Künstler aus sechs Ländern des südlichen Afrika, unter denen sich nicht nur renommierte Kandidaten wie Zwelethu Mthethwa finden. Die Kuratoren haben auch Unbekanntere gesucht, die afrikanischen Alltag zeigen. Calvin Dondo aus Simbabwe zum Beispiel. Er fotografierte Männer im Anzug, Pakete schleppende Frauen – auch in der Bremer Innenstadt sieht es nach Feierabend nicht anders aus. Eine erfrischend undramatische Perspektive, die leider konterkariert wird durch Bilder von Straßenschlachten in derselben Stadt.
Aber vielleicht haben Europäer kein Recht, dies mit einem oberlehrerhaftem Verweis aufs Klischee zu bedauern: Calvin Dondo demonstriert, was ist – auch die brüchige Normalität. Dies ist eher Sozial- und Politreportage als Kunst und insofern durchaus im Rahmen des von Europäern Erwartbaren.
Mohamed Camara aus Mali erzählt dezenter. In seinen kargen Interieurs blitzen kaum afrikanische Spezifika auf. Wie Caravaggio arbeitet er mit scharfen Lichtkontrasten, und sein „Mohamed am Fenster“ erinnert an die Räume Vermeers. Als „Stillleben mit Figur“ könnte man diese Fotos bezeichnen, die erzählen, ohne zu klagen. Die Armut seiner Behausung erscheint ganz nebenbei: Wie zufällig streifen die Sonnenstrahlen die ärmliche Bettdecke und den trostlosen Schrank. Eine leise Wanderung zwischen Hoffnung und Verzweiflung.
Aber ist dies ein afrikanisches Alleinstellungsmerkmal? Kann Verzweiflung nicht – trotz oder wegen des Kontinents, auf dem man lebt – schlicht individuell sein? Abraham Oghobase aus Nigeria findet das ganz entschieden. Er leistet sich den Luxus großer Nähe zum Objekt: Zwei Jahre hindurch begleitete er einen psychisch kranken Obdachlosen in Lagos, der auf einem Kleinlaster hauste. An sich ein Insignium des Elends, wie es „typischer“ kaum sein könnte. Aber der Künstler streitet alles ab: „Diese Fotos drücken einzig und allein meine Empfindungen aus. Dieser Mann repräsentiert die psychische Not, die ich in den Jahren 2001 und 2002 selbst durchlebte. Es soll kein politisches Plädoyer gegen die afrikanische Armut sein.“
Oghobase wehrt sich strikt gegen den Vorwurf, ein Klischee zu bedienen und gibt auch zu, dass ihn afrikanischen Kollegen dessen verdächtigt hätten. Und es stimmt: Seine Fotos, die Objektives zeigen, aber Subjektives meinen, demonstrieren das Dilemma, in dem die afrikanische Fotografie steckt: Niemand erlaubt ihr, unpolitisch zu sein. Frappierend an Abraham Oghobases Bildern ist allerdings, mit welcher Beiläufigkeit die Passanten an den Elenden vorbeigehen. Allenfalls ein Schulkind dreht sich noch nach den am Boden Kauernden um. Hierin unterschiedet sich der Verhaltenscode nicht von dem europäischer Städte. Der Unterschied ist graduell, nicht prinzipiell. So unbeachtet wie der Obdachlose habe auch er selbst sich gefühlt, sagt Oghobase später. „Ich wollte nicht lamentieren, sondern meiner Not Ausdruck verleihen. Wir afrikanischen Fotografen müssen lernen auszudrücken, was wir fühlen. Wir wollen gestalten.“
Seine nächste Fotoserie widmet sich den Folgen des Klimawandels – und wieder hat man das afrikanische Publikum unterschätzt. „Natürlich haben wir auch andere Probleme“, sagt er. „Aber uns interessieren natürlich auch globale Entwicklungen. Denn wir Afrikaner beginnen zu begreifen, dass nicht die Regierungen unsere Gesellschaft, unsere Staaten und diese Erde gestalten, sondern jeder Einzelne! Deshalb müssen wir aufstehen und aktiv werden.“
Abraham Oghobase hat es getan. Er versucht seit drei Jahren von seinen subjektiv-expressiven Fotos zu leben. Aber er weiß auch, dass der Westen nur schwer hinhören wird, wenn Afrika über anderes als Armut spricht. Aber er gibt die Hoffnung nicht auf. Schließlich sind die afrikanischen Völker, „gerade dabei, demokratisch und mündig zu werden“, sagt Oghobase. Da ist es nicht auszuschließen, dass auch der Blick des Europäers auf die Facetten Afrikas irgendwann erwachsen wird.
„Planet Afrika“: bis 29. 2., Galerie Hengevoss Dürkop, Klosterwall 13, Hamburg. www.hengevossduerkop.de