: Brunsbüttel: Bei Notfall GAU
Geheimes Behördengutachten zeigt Sicherheitsdefizite bei dem Atomkraftwerk. Während die Kieler Aufsichtsbehörde sich ausschweigt, will Kraftwerksbetreiber Vattenfall ab heute die Laufzeitverlängerung für den Alt-Meiler gerichtlich erzwingen
Im heute beginnenden Rechtsstreit zwischen Bundesregierung und Vattenfall verhandelt das Oberverwaltungsgericht Schleswig über eine Laufzeitverlängerung für das AKW Brunsbüttel. Es geht um den von Bundesumweltminister Gabriel (SPD) abgelehnten Antrag, Strommengen des stillgelegten Meilers Mülheim-Kärlich auf das AKW Brunsbüttel zu übertragen, das zu den ältesten der Republik gehört. Eine solche Verrechnung nicht erzeugter Kilowattstunden ist grundsätzlich möglich – laut Atomausstiegsgesetz aber nicht im Falle des AKW Brunsbüttel. Dessen Laufzeit würde damit um zwei Jahre verlängert – bis 2011. Nach mehreren Pannen ist der Reaktor seit Juli vom Netz. MAC
Von MARCO CARINI
Der Zeitpunkt der Indiskretion war wohlbedacht. Genau zum heutigen Prozessauftakt über eine Laufzeitverlängerung des Brunsbütteler Atomreaktors wurde der Deutschen Umwelthilfe (DUH) anonym ein brisanter Sicherheitsbericht über den umstrittenen Atommeiler zugespielt. Das 25-seitige Papier, das der taz vorliegt, kommt direkt aus dem Kieler Sozialministerium, der für die Aufsicht über den Reaktor zuständigen Behörde.
Dort schlummert die Analyse bereits seit 14 Monaten, ohne das Licht der Öffentlichkeit erblickt zu haben. Das Ministerium hatte den Bericht direkt nach dem schweren Störfall im schwedischen Vattenfall-Reaktor Forsmark im Juli 2006 in Auftrag gegeben und ihn bereits im November des Jahres erhalten.
Erstmals werden in der Untersuchung Sicherheitsdefizite benannt, die der Öffentlichkeit in dieser Form bislang verborgen blieben. Der Bericht belege eindrucksvoll, so DUH-Geschäftsführer Rainer Baake, „dass der Brunsbütteler Reaktor seit vielen Jahren das größte Sicherheitsrisiko in Norddeutschland“ sei. So stellen die Experten der ministeriellen Abteilung Reaktorsicherheit und Strahlenschutz fest, dass ein von Vattenfall vorgelegtes Sicherheitskonzept „nur bedingt den Anforderungen einer sicheren, zuverlässigen und dem Stand der Technik angepassten Notstromversorgung genügt“.
Zentrales Problem ist nach Aussage des Projektberichts „Optimierung der Notstromversorgung des Kernkraftwerks Brunsbüttel“ die mangelnde Trennung der Notstromstränge des Reaktors und der ihnen zugeordneten Not- und Nachkühlsysteme. Dieses aber stellen die wichtigste Sicherheitseinrichtungen bei einem Ausfall der regulären Kühlung dar. Versagen sie, droht die Kernschmelze, der GAU.
Die Autoren der Studie schlagen zahlreiche Maßnahmen vor, um die Sicherheit des Reaktors zu erhöhen. Dem Betreiber Vattenfall wird etwa die „Errichtung eines neuen Notstromgebäudes“ vorgeschlagen. Allein das würde etwa zwei Jahre in Anspruch nehmen.
Die von den Ministeriumsexperten empfohlene „langfristige Lösung“ – eine „Erweiterung der Notstromanlage“ würde nach Einschätzung der Gutachter nicht weniger als vier Jahre dauern. Nur so aber kann nach Auffassung des Ministeriums, die Anlage an die gültigen Sicherheitsvorschriften angepasst werden. Vor 2011, so der Bericht, könne die erforderliche technische Nachrüstung nicht abgeschlossen werden. Die Anlage aber soll aber nach derzeitigem Planungsstand bereits im Jahre 2009 endgültig abgeschaltet werden.
DUH-Geschäftsführer Baake forderte das Sozialministerium gestern auf, kein „Wiederanfahren des derzeit abgeschalteten Reaktors zu gestatten, ohne dass vorher alle in dem Bericht aufgezeigten Sicherheitsmängel beseitigt worden sind“. Das Ministerium schweigt sich erst mal aus. Eine gestern Mittag gestellte Anfrage der taz zu dem Gutachten blieb bis in die frühen Abendstunden unbeantwortet.
Damit gerät auch die Kieler Sozialministerin Gitta Trauernicht (SPD) unter Druck. „Es ist schleierhaft, warum der Bericht vom Ministerium bis heute geheim gehalten wurde“, klagt Umwelthilfe-Mitarbeiter Gerd Rosenkranz. Der Bericht belege eindrucksvoll, dass die Sicherheit in Brunsbüttel schlechter sei als „in jedem anderen deutschen Atomkraftwerk“.
Für „vollkommen unverantwortlich“ hält es DUH-Chef Baake, dass Vattenfall ausgerechnet für den 1976 in Betrieb genommenen Brunsbütteler Reaktor nun eine Laufzeitverlängerung einklagen will. In dem am Mittwoch beginnenden Verfahren vor dem Schleswiger Oberverwaltungsgericht stehen sich Vattenfall und die Bundesregierung als Prozessgegner gegenüber. Der Stromkonzern hatte eine Übertragung der nicht verbrauchten Restlaufzeiten des stillgelegten Meilers in Mühlheim Kärlich beantragt. Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) lehnte das ab.
Mit der gerichtlichen Entscheidung ist voraussichtlich am Donnerstag zu rechnen. Gabriel hatte den Negativ-Bescheid damit begründet, dass der Atomkonsens eine Übertragung der Restlaufzeit auf Brunsbüttel ausschließe. Zudem würden die für einen notwendigen Sicherheitsvergleich erforderlichen Daten von den Energiekonzernen zurückgehalten – ein Vorwurf, der nun – was die öffentliche Transparenz betrifft – auch auf die Kieler Landesregierung zurückfällt.
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