: Die gefällte Buche des Widerstands
Mein Freund der Baum ist tot, er fiel im frühen Morgenrot“ – Sängerin Alexandra hätte ihre Totenklage auch vor den Resten der 200-jährigen Buche anstimmen können, die im Dresdner Elbtal der Großbaustelle Waldschlösschenbrücke im Weg stand. Bis gestern Morgen trotzte sie kraftstrotzend den lauernden Sägern. Man sah der stattlichen Buche ihr Alter nicht an. Mit ihrer gutachterlich bescheinigten Lebenserwartung von mindestens weiteren 100 Jahren hätte sie lächelnd auf das kurzlebige und kurz denkende Gewürm zu ihren Wurzeln herabblicken können.
Doch das Gekreuch da unten hat Maschinen erfunden, mit denen man Bäume durch Beton ersetzen kann. Zur Geisterstunde rückten sie an, um zunächst die zehn zähen Baumfreunde aus der Buchenkrone zu vertreiben und die längste Baumbesetzungsaktion in der Geschichte von „Robin Wood“ zu beenden. Noch einmal 100 hatten sich trotz der Nachtzeit auf der Straße eingefunden und versuchten eine Blockade. Doch gegen den „Fortschritt“ im Bunde mit einer formalen Rechtslage hatten der Baum und seine Freunde keine Chance. Am Vormittag fiel die Buche und mit ihr eine ganze Allee von Straßenbäumen.
Die Buche, ihre Nachbarlinde und die Leidensgefährten schützte nicht, was gerade die angeblich politisch Konservativen in Dresden für das Allerheiligste halten. Die Stadt suhlt sich in ihrer Vergangenheit, jeder alte Stein erhält einen Tabernakel, und über jeden Furz des starken Kurfürsten August wird ein Buch geschrieben. Da hätte die stolze Buche mühelos mithalten können. Sie zierte nämlich schon einen englischen Garten, den Graf Marcolini angelegt hatte. Der königlich-sächsische Kabinettsminister und Generaldirektor der Kunstakademien erwarb 1805 ein Gelände nahe dem Waldschlösschen. Der Park sollte Landwirtschaftsflächen und den Heidewald harmonisch miteinander verbinden. Er musste allerdings schon im 19. Jahrhundert einer expandierenden Brauerei weichen.
Die Buche aber blieb, und sie schaute auch 40 Jahre souverän über das ihr gegenüber errichtete Stasi-Gebäude hinweg auf die Elbaue. In ihren letzten fünf Wochen wuchs sie noch einmal über sich hinaus und wurde zum Fanal des Widerstands gegen das fragwürdige Brückenprojekt. Schon an ihrem Todestag setzte der zornige Märtyrerkult um das Widerstandssymbol „gegen Ignoranz und Starrsinn“ ein, so die Verteidiger des Unesco-Welterbetitels. Sogar einer der bestellten Säger im orangefarbenen Anzug sicherte sich verstohlen einen knospenden Zweig. Der zerlegte Stamm der Buche spaltet Dresden jedenfalls seit gestern noch ein Stück tiefer. MICHAEL BARTSCH