: „Man kann gar keinen einzelnen Bösewicht identifizieren“
Dass die Humboldt-Universität ihre Beteiligung am Generalplan Ost und der Vertreibungspolitik der Nazis nicht richtig aufgearbeitet hat, ist der „üblichen Mischung aus Unkenntnis, Schlamperei“ geschuldet, sagt Präsident Christoph Markschies. Er sucht nun verstärkt Kontakt zu Überlebenden
CHRISTOPH MARKSCHIES ist evangelischer Theologe und Philosoph und seit 2006 Präsident der Berliner Humboldt-Universität.
taz: Herr Markschies, 65 Jahre nachdem Forscher der Humboldt-Universität in ihrem „Generalplan Ost“ die Ermordung und Vertreibung von 25 Millionen Menschen empfohlen haben, hat sich die Universität eine Ausstellung dazu ins Haus geholt. Warum erst jetzt?
Christoph Markschies: Es gab ja schon vorher Aktivitäten, zum Beispiel eine studentische Ausstellung an der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultät. Ich muss sagen, ich selbst habe bei meinem Amtsantritt Anfang 2006 die Universität in diesem Punkt als große Baustelle vorgefunden.
Wer hat da geschludert?
Ich fürchte, da kann man gar keinen einzelnen Bösewicht identifizieren. Das ist so die übliche Mischung aus Unkenntnis, Schlamperei und so weiter. Und natürlich hatte die Generation meiner Eltern Schwierigkeiten mit dieser Aufarbeitung, das muss man ganz klar so sehen. Das ist keine Entschuldigung für die Humboldt-Universität, aber ich denke, das ist bei vielen deutschen Universitäten so.
Der Plan zur Neuordnung und Besiedlung Ost- und Mitteleuropas wurde maßgeblich an der HU entwickelt. Wie kann es sein, dass die Uni sich zu diesem Thema eine Ausstellung der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG) ins Haus holt und selbst ihre eigene Rolle nicht weiter reflektiert?
Zur Eröffnung der Ausstellung habe ich in Bonn eine große Rede gehalten, in der ich nur über die Rolle der HU und nicht über die DFG geredet habe. Wir planen zum 200. Jubiläum im Jahr 2010 eine eigene Ausstellung. Es gab auch schon eine Publikation und eine Ringvorlesung zum Thema.
Sie selbst haben gesagt, die „Offenlegung der Schuld“ sei die angemessenste Form der Entschuldigung. Die Stellungnahmen der HU haben sich bis jetzt aber sehr stark im akademischen Umfeld abgespielt. Warum gehen Sie nicht an eine breitere Öffentlichkeit?
Es hat ja von meinem Vorgänger und von der landwirtschaftlichen Fakultät schon Erklärungen gegeben. Weitere Worte abzugeben und darum publizistisches Tamtam zu machen, finde ich eher peinlich. Man muss wirklich mit den Leuten, den Überlebenden in Kontakt kommen.
Was heißt das konkret?
Ende Februar wird der Direktor der polnischen Gedenkstätte Majdanek kommen. Mit ihm wird es einen Tag geben, der sich an eine nichtakademische Öffentlichkeit richtet. Wir haben Menschen eingeladen, die Opfer dieser „Umsiedlungspolitik“ wurden. Die Ausstellung beschreibt die Faktengeschichte, in dem Rahmen wollen wir das mit konkreten Gesichtern verbinden. Es gibt ja noch Überlebende, die eine Entschuldigung der HU auch noch physisch erleben können, unabhängig davon, wie sie damit umgehen. Das soll kein Historikersymposium werden.
Aber das bewegt sich dann ja wieder im Rahmen der Uni.
An die breite Öffentlichkeit gehen wir vor allen Dingen in Polen. Wir werden im Rahmen unseres Jubiläums in einer Kooperation mit der Uni Breslau unsere Entschuldigung in Form einer Ausstellung auf den Breslauer Marktplatz tragen. Wenn es klappt, werden wir das auch mit einer zweiten Universität in Ostpolen veranstalten. Das braucht alles viel Zeit, angesichts dieser Vorgeschichte und der politischen Großwetterlage muss ich als jemand, der neu im Amt ist, erst einmal Vertrauen aufbauen.
Gibt es Pläne, wie Sie das Thema an die Berliner Öffentlichkeit bringen wollen?
Das ist schwierig, man darf nicht zu viele Einladungen machen, dann kommt keiner. Wir werden zum Jubiläum ein Denkmal in den hinteren Hof stellen. Außerdem sind wir gerade dabei, einen Wettbewerb auszuschreiben, wie man die Wände des Foyers passend gestalten könnte. Bis jetzt hängen ja vor allem Nobelpreisträger in der Universität. Ideen gibt es auf jeden Fall viele. INTERVIEW: DUNJA BATARILO