kabinenpredigt : Nr. 1 in Egozentrik
Bis vor einer Woche wussten nur Tennis-Insider mit dem Namen Sabine Lisicki etwas anzufangen. Mittlerweile hat sich das geändert. Bei ihrem ersten Grand Slam-Turnier, den Australian Open, hat die 18-jährige Berlinerin ihren Bekanntheitsgrad exponential gesteigert. Auf Anhieb erreichte sie das Achtelfinale.
Fast noch mehr als der sportliche Erfolg verblüfften ihre forschen Äußerungen. Die Nummer 194 der Weltrangliste verkündete, sie wolle die Nr. 1 werden. Und sie outete sich ungeniert als Egozentrikerin: „Ich genieße es, im Mittelpunkt zu stehen.“
In Deutschland, wo die „Steffi-und-Boris-Manie“ schon zur angestaubten Sportgeschichte zählt, horchte man auf. Nach einer langen Zeit der Dürre schien sich endlich das ersehnte Tennistalent mit Starqualitäten zu Wort zu melden. Und gewiss ließen sich sogleich einige Entrückte von Lisicki in deren kühne Traumwelt entführen. Gestern folgte nun das Erwachen. Lisicki scheiterte im Achtelfinale mit 6:4, 4:6, 3:6 gegen Caroline Wozniacki aus Dänemark.
Sollte Lisicki tatsächlich noch eine große Tenniskarriere bevorstehen, so wäre sie mit bereits 18 Lenzen eine Spätzünderin. Eines ist jedenfalls gewiss: Die Berlinerin wird weiter unverdrossen über ihr großes Ziel sprechen, die Beste von allen zu sein. Denn das tat sie bereits mit 14 Jahren, als sie noch Weltranglistenposition 918 belegte.
Seitdem lässt sie kaum eine Gelegenheit aus, davon zu reden. Schon vor vier Jahren trainierte sie in der berühmten Akademie von Nick Bollettieri, der einst auch die Tennis-Asse Jim Courier und André Agassi betreute. Ein zentraler Lehrsatz der dortigen Kaderschmiede lautet: Große Ziele kann man nur dann erreichen, wenn man sie auch ausspricht.
Dieses Erfolgsrezept birgt natürlich ein logisches Problem in sich: Wenn die Heerscharen von Bollettieri-Jüngerinnen alle erklären, dass sie die Nr. 1 werden wollen, wer wird es dann wirklich? Lisicki scheint eine Lösung gefunden zu haben: Diejenige, die es am öftesten verkündet. JOHANNES KOPP