: Jeden Tag ein Bild malen
Man muss aus vielen Töpfen schöpfen, um im Nordneuköllner Reuterkiez als Galerist überleben zu können. Trotzdem entstehen hier immer mehr Räume für Kunst, manche mit klassischem Programm
VON JESSICA ZELLER
Das Gefühl, mit dem sie durch die Straßen geht, hat sich für Denise Sheila Puri verändert. „Oft denke ich, ach, hier hat wieder was eröffnet. Die Läden stehen nicht mehr leer. Natürlich freue ich mich, dass da auch Galerien dabei sind. Denn man ist ja ungern Einzelkämpfer.“ Die Kostüm- und Bühnenbildnerin und ihr Partner, der Landschaftsplaner Klaus Bartoluzzi, waren unter den Ersten, die im Neuköllner Reuterkiez auf Kunst gesetzt haben. Vor fünf Jahren haben sie in der Pflügerstraße ihre erste Galerie aufgemacht, seit drei Jahren betreiben sie die Produzentengalerie „R31“ in der Reuterstraße. Waren sie anfangs allein, gibt es heute knapp ein Dutzend Ausstellungsräume in ihrer Nachbarschaft, Tendenz steigend.
Die Galerien sind Teil von publikumsstarken Veranstaltungen wie „Nacht und Nebel“ und den jährlich stattfindenden „48 Stunden Neukölln“. „Neukölln war eigentlich immer schon ein sehr gemischtes Viertel mit vielen Kreativen, auch wenn man das lange nicht im Straßenbild gesehen hat. In unserem Haus wohnen eigentlich fast nur Künstler, und unser Vermieter kommt uns bei der Galerie mit einer sehr günstigen Miete entgegen.“ Damit kommt Denise Sheila Puri, die in Steglitz geboren ist, der naheliegenden Frage zuvor, wie es sich denn so lebt als Galeristin in einem der einkommenschwächsten Gebiete Berlins.
Verkaufen in New York
Sie und ihr Partner stünden, was ihren Lebensunterhalt betrifft, auf vielen Beinen: „Wir arbeiten beide freiberuflich in den Berufen, die wir studiert haben. Die Kunst, die wir machen, verkaufen wir nicht in Neukölln, sondern in einer Galerie in New York. Die Galerie R31 bekommt teilweise auch öffentliche Zuschüsse. Im vergangenen Jahr haben hier zum Beispiel erwerbslose Künstler mit Geldern der EU kuratieren gelernt.“
Kunst und staatliche Subvention, ein schwieriges Thema. Weniger als drei Prozent der Künstler in Deutschland können allein vom Verkauf ihrer Arbeiten leben. Die meisten bekommen, wenn auch nicht kontinuierlich, ein Stipendium, einen mit Geld dotierten Preis oder Förderungen aus „irgendeinem Topf“. In Neukölln, wohin fast nie ein Sammler kommt und kaum ein Anwohner sich den Kauf der ausgestellten Arbeiten leisten kann, sind diese Finanzquellen auch für Galeristen Alltag.
Hinzu kommen Gewerbe mit niedrigen Mieten, in vielen Fällen vermittelt durch die örtliche „Zwischennutzungsagentur“. „Ohne öffentliche Gelder läuft hier gar nichts“, formuliert Daniela Reifenrath den Sachverhalt etwas drastisch. Die wortgewandte Architektin und Künstlerin muss es wissen. Im Mai 2005 hat sie die Galerie „malerei & graphik“ in der Friedelstraße eröffnet. „Im ersten Jahr habe ich nur ausgestellt und gehofft, mein Geld allein über den Verkauf zu verdienen. Das hat nicht geklappt, denn die Leute, die hierherkommen, mögen zwar die Kunst, aber haben kein Geld, sie zu erwerben.“ Um ihr Projekt am Leben zu erhalten, arbeitet sie nebenher als Grafikerin und setzt Projekte des Quartiermanagements um, wie das „Künstlerbranchenbuch“ oder die Webseite www.reuterkunst.de. Außerdem verkauft sie Postkarten und preiswerte Drucke und organisiert Künstlergespräche.
Um bei diesem Stress selbst noch produzieren zu können, setzt sie sich Aufgaben: Im Dezember hat sie selbst an jedem Tag ein Bild über eine an diesem Tag geborene Persönlichkeit gemalt. Positiv formuliert, ist Reifenrath ein kreatives Energiebündel. Aber ihr Pensum an Selbstausbeutung ist beachtlich.
Trotziger Beiklang
Die Welt von Alex Frei und Nathalie Bohrer sieht ähnlich aus. Die beiden Schweizer betreiben seit knapp einem Jahr die Galerie „Frei-Ruum“ und arbeiten nebenbei im Sozialdienst. Frei schreibt außerdem, Bohrer malt.
So ähnlich die Voraussetzungen, so unterschiedlich ist doch die Kunst, die man hier findet. Parkett, Stuck, kein Staubkorn und mit Alex Frei ein ruhiger Hausherr – so stellt man sich eine Galerie vor. Die sorgsam aufgehängten schwarz-weißen Fotoarbeiten des Berliners Jens Zimmermann zur „Poesie der Bahnhöfe“ haben eine stimmige Linienführung und einen klassischen Bildaufbau. Manche erinnern an längst vergangene Zeiten. Für den Galeristen Frei ist Zimmermanns Blick „klassisch“, und damit formuliert er auch seine eigene Sicht der Dinge. Wo gegenwärtig Digicam und Photoshop das Sagen haben, sei es mutig, Fotos wieder selbst zu entwickeln und auch vor dem gelb-braunen Sepiafilter nicht zurückzuschrecken.
Hört man da auch einen etwas trotzigen Beiklang, weil man in Neukölln auch als Galerist gegen den Strom der Verhältnisse schwimmt? Vielleicht. Jedenfalls sind zwei der Aufnahmen bereits bei der Vernissage an Kunstliebhaber verkauft worden. Und das allein macht Frei viel Mut. Denn später einmal in Neukölln als Galerist ohne Nebenjobs sein Dasein bestreiten zu können ist „sein Traum“, den er so schnell nicht aufgeben will.
Galerie Frei-Ruumm; Friedelstraße 11; Mo.–Fr. 13–20 Uhr; Galerie malerei & graphik; Friedelstraße 37; Mi.–Sa. 16–20 Uhr; Galerie R31; Reuterstraße 31; Fr.–So. 15–20 Uhr