Die Stromfabrik Norddeutschlands

Brunsbüttels Atomkraftwerk geht bald vom Netz. Dafür werden drei große Kohle- und ein Müllkraftwerk geplant. Eine Bürgerinitiative wehrt sich dagegen. Sie befürchtet Feinstaub, mehr Verkehr und noch mehr Klimawandel

VON GERNOT KNÖDLER

Wenn Brunsbüttel 2009 sein Atomkraftwerk verliert, könnte es mit der Stromerzeugung erst richtig losgehen. Drei große Kohlekraftwerke und ein Müllheizkraftwerk werden bei der Elbgemeinde geplant. Würden sie alle gebaut, lieferte der Ort mehr als fünfmal soviel Strom wie heute. Während die Stadtverwaltung so die Rolle Brunsbüttels als Industriestandort zu festigen versucht, wehrt sich die Bürgerinitiative „Gesundheit und Klimaschutz Unterelbe“ (BIGKU) gegen die Belastungen, die durch diese Konzentration von Projekten für die Anwohner entstehen – und gegen die Schädigung des Klimas.

„Kraftwerksmäßig gibt es in Deutschland keinen größeren Skandal als hier“, sagt Hubert Cartano-Poburski von der Initiative. Schon die Atomkraftwerke Brunsbüttel und Brokdorf hätten seiner Ansicht nach längst abgeschaltet werden müssen. Es sei eine Zumutung, dass jetzt auch noch klimaschädliche Kohlekraftwerke und de facto eine Müllverbrennungsanlage hier gebaut werden sollten. „Wir haben hier schon genug Schiet und Dreck“, sagt er.

Die Brunsbütteler Ratsversammlung will am Mittwochabend die Auslegung eines Bebauungsplanes beschließen, der es der Firma Südweststrom ermöglichen würde, ein Steinkohlekraftwerk mit zwei Blöcken à 900 Megawatt Leistung zu errichten. Der Stromversorger mit Sitz in Tübingen ist 2005 von mehreren Dutzend Stadtwerken gegründet worden. Das Kraftwerk soll nach Auskunft des Unternehmens spätestens 2012 ans Netz gehen.

Einen Schritt weiter im Genehmigungsverfahren ist ein Müllheizkraftwerk, das für die Chemie-Firma Bayer auf deren Gelände an der Elbe gebaut werden soll. Das Kraftwerk soll 300.000 Tonnen aufbereitete Abfälle im Jahr verbrennen und vor allem Bayer zu einem billigen und stabilen Preis mit Prozessdampf versorgen. Das Planrecht für ein solches Kraftwerk existiert bereits. Am 5. Februar findet im Brunsbütteler Elbeforum ein öffentlicher Erörterungstermin statt, bei dem der zu erwartende Schadstoffausstoß des Müllkraftwerks diskutiert wird.

In der Nachbarschaft plant die Firma Electrabel ein Steinkohlekraftwerk mit 800 Megawatt Leistung. Der Energieversorger, der in Wilhelmshaven ein Kraftwerk bauen will, prüft aber noch, ob sein zweites Kraftwerk in Brunsbüttel oder Stade errichtet werden soll. Bis Mitte des Jahres soll das entschieden sein.

Ein viertes Kraftwerksprojekt liegt kurz hinter der Kreisgrenze zwischen Dithmarschen und Steinburg auf dem Gebiet von Brunsbüttels Nachbargemeinde Büttel. Hier gibt es ebenfalls schon einen Bauleitplan, der die Errichtung eines 800-Megawatt-Steinkohlekraftwerks erlaubt. Die Getec Energie AG aus Hannover hat auch bereits eine Genehmigung nach dem Bundesimmissionschutzgesetz beantragt, in dessen Rahmen am 18. Dezember aber erst ein Scoping-Termin stattgefunden hat. Dabei wurde geklärt, welche Gutachten das Unternehmen vorlegen muss.

Der Standort Brunsbüttel an der Mündung des Nord-Ostsee-Kanals ist für Kraftwerksbetreiber interessant, weil er an der Elbe liegt und weil es im Brunsbütteler Industriegebiet Verwendung für die Abwärme der Kraftwerke gibt. Über die Elbe lässt sich der Brennstoff günstig und umweltfreundlich anliefern.

„Durch die vorteilhafte Lage können wir Kühlwasser direkt aus der Elbe entnehmen und den Bau eines Kühlturms vermeiden“, sagt Getec-Geschäftsführer Kai Hahn. Zugleich versuche sein Unternehmen, Nutzer für die Abwärme zu finden, um so die Energie besser auszunutzen. Man sei „auf der Suche nach Dampfkunden, die Interesse an einer Ansiedlung in der Nähe des Kraftwerks haben“, sagt Hahn.

Weil alle potenziellen Kraftwerksbauer gerne Wärme auskoppeln würden, hält die Bürgerinitiative das Müllheizkraftwerk auf dem Bayer-Gelände für überflüssig. Es sei sinnvoller deren Abwärme zu nutzen, als damit die Elbe aufzuheizen. Binnen zehn Tagen habe die Initiative 2.700 Unterschriften gegen die das Müllheizkraftwerk gesammelt, sagt Cartano-Poburski.

BIGKU befürchtet den Verkehr von „bis zu 500“ Lastwagen am Tag und das Gift, das aus der Müllverbrennungsanlage kommen könnte. Für die Kohlekraftwerke rechnet die Initiative pro Jahr mit 17 Millionen Tonnen CO2, 13.000 Tonnen Schwefeldioxid, 1.300 Tonnen Feinstaub, jeweils einer Tonne Blei, Cadmium, Arsen und Nickel sowie zwei Tonnen Quecksilber.

Die Kraftwerksbauer versuchen solchen noch nicht genau ermittelten Mengen mit hohen Schornsteinen beizukommen. 145 Meter hoch soll etwa jener des Südweststrom-Kraftwerks werden. Der Wind verteilt die Schadstoffe dann so, dass die Planer in der Umgebung Brunsbüttels nur noch irrelevante Schadstoffeinträge erwarten.

Die Investoren verweisen darauf, dass ihre neuen Kraftwerke auf jeden Fall effizienter seien als die alten Kohlekraftwerke, die sie ablösen. Nach Ansicht des Chefs der Deutschen Energie-Agentur (Dena), Stephan Kohler, sind sie nötig, um bei der schwankenden Leistung des Wind- und Sonnenstroms eine stabile Energieversorgung zu gewährleisten. „Wenn man keine Kernenergie will, was will man dann?“, fragt der Bürgermeister der Gemeinde Brunsbüttel, Richard Schmidt.