: Ein Porträt vom Meister des Porträts
Mit „Henri Cartier-Bresson - Biographie eines Blicks“ beginnt eine Filmreihe über Fotografie im Kino 46
Im Grunde ist ein Film ja nur eine Aneinanderreihung von vielen einzelnen fotografischen Aufnahmen, die so montiert werden, dass dabei der Eindruck einer Bewegung entsteht. So entsteht bei Filmen, in denen Fotografien im Mittelpunkt stehen, immer ein interessanter Doppelungseffekt: Sie sind Bilder von Bildern. Deren enge Verwandtschaft bringt Henri Cartier-Bresson in diesem Künstlerporträt einmal genau auf den Punkt, wenn er den ihn gerade filmenden Kameramann direkt anspricht. Er erzählt davon, wie schwierig es ist, gute Porträtfotos zu machen, und dass man die Leute dazu bringen muss, die Kamera zu vergessen. „Wie bei dir“, sagt er dann, schaut nicht in die Kamera, sondern knapp an ihr vorbei auf seinen Kollegen und begeht damit einen Stilbruch, denn es ist eine Konvention des Films, dass in ihm die Existenz einer Kamera und erst recht eines Mannes hinter ihr meist ignoriert wird.
Natürlich passt diese Szene hier ideal - und ist ganz nebenbei ein Beleg dafür, dass Cartier-Bresson ein einzigartiges Gespür für den richtigen Augenblick und seine Inszenierung hat. Wie kein anderer fand er immer den moment juste und gilt deshalb unbestritten als einer der besten Fotografen des 20. Jahrhunderts. Als 95jähriger und kurz vor seinem Tod stellte sich der Meister des Porträts selber für dieses Künstlerporträt zur Verfügung, und man merkt es den ausgesucht ästhetischen Aufnahmen des Kameramanns Mathias Kalin an, dass er und der Regisseur Heinz Bütler reichlich Manschetten vor Cartier-Bresson hatten. Leider fehlt eine Szene, in der dieser selbst den Film beurteilt. Aber solche selbst-referentiellen Spitzfindigkeiten hätten dann wohl doch nicht ins Bild gepasst. Denn das ist hier so klassisch aufgebaut wie nur möglich: Meist sieht man Cartier-Bresson in einer halbnahen Einstellung, während er eines seiner Fotos aussucht, es dann in die Kamera hält und davon erzählt. Dazu gibt es viele statische Aufnahmen von seinen Aufnahmen. Aber hier wird auch eine kurze Geschichte des letzten Jahrhunderts in Bildern gezeigt, denn Cartier-Bresson bewies seinen sicheren Instinkt für den Moment nicht nur, wenn er auf den Auslöser drückte. Oft war er gerade am rechten Ort, wenn etwas historisch Bedeutsames geschah.
Beim Tod Gandhis, beim Bau der Mauer, beim Einzug der Kommunisten in Peking, wo er den letzten Eunuchen Chinas fotografierte: Cartier-Bresson war immer da und machte jeweils ein paar Bilder, die den Moment perfekt trafen. Arthur Miller erzählt im Film davon, wie genau er die Essenz von Marilyn Monroe in einem seiner Fotos eingefangen hat, und die so oft fotografierte Isabelle Huppert schildert, dass sie sich auf einem seiner Bilder von ihr selbst neu erkannt hat. Aber Cartier-Bresson fotografierte auch Huren in Mexiko, eine Hochzeit in Harlem und Spaziergänger in Paris mit dem gleichen empathischen Blick wie Sartre, Matisse und Strawinski, und so begeistert neben der Perfektion seiner Aufnahmen auch die immense Größe und Tiefe seiner Bilderwelt.
Der Film konzentriert sich ganz auf die Arbeit von Cartier-Bresson und so erfährt man kaum etwas von dessen Leben. Aber zu jedem Foto hat er eine Geschichte zu erzählen, und der Regisseur war so klug, möglichst viele davon in seinen Film zu stopfen. Interessant ist schließlich auch, dass der so sanftmütig wirkende Cartier-Bresson immer wieder Metaphern verwendet, in denen er seine Kamera mit einer Waffe gleichsetzt: „Peng - man trifft oder man trifft nicht“ und „Das Gemälde ist eine Meditation, das Foto ein Messerstich.“
Wilfried Hippen