: berliner szenen Heath Ledger ist tot
Tränen am Bahnhof
Vor dem Berliner Hauptbahnhof hängen schmutzig graue Wolken im Himmel. Eine junge Frau in verwaschenen Jeans und einer grünen Jacke steht unter einer der Fahnen, die schwach im Wind wehen. Sie raucht abwesend, hin und wieder läuft ihr eine Träne übers Gesicht. Ein junger Mann bleibt neben ihr stehen. Er trägt eine schwarze Hose und ein weißes Hemd, die Ärmel sind bis kurz vor die Ellenbogen aufgekrempelt.
„Ist alles in Ordnung? Ich habe dich weinen sehen.“ Die junge Frau blickt ihn an, zieht an ihrer Zigarette und pustet den Rauch zur Seite aus. „Heath Ledger ist tot“, sagt sie. „Was?“, fragt der junge Mann, als habe er sie nicht verstanden. Sie schluchzt. „Heath Ledger ist tot“, wiederholt sie. Der junge Mann schweigt einige Sekunden. Die Fahne über ihnen bäumt sich in einer Böe kurz auf, um dann wieder erschlafft nach unten zu hängen. Er bricht das Schweigen.
„Ist das nicht der Schauspieler. Der aus …“ Sie fällt ihm ins Wort: „… Brokeback Mountain, ja. Er war nur 28 Jahre alt.“ Ihre Stimme klingt, als spräche sie von einem lieben Verwandten. Der junge Mann öffnet den Mund, sagt aber nichts. Das macht er ein paar Mal, immer aber bricht er ab, bevor er etwas sagt. Die junge Frau schluchzt wieder. „Mann, es trifft immer die falschen. Scheiße!“ Er öffnet den Mund, langsam, dann fragt er: „Woran ist er denn gestorben?“ – „Weiß man noch nicht. Neben seinem Bett lagen Tabletten. Ich kann es nicht glauben.“
Der junge Mann will ihr eine Hand auf die Schulter legen, hält aber inne. Erst als sie ihn ansieht, lässt er seine Hand sinken. Er fragt: „Wollen wir einen Kaffee trinken gehen?“ Sie zieht an ihrer Zigarette und wirft sie auf den Boden. Dann gehen sie in den Bahnhof. MARTIN SPIESS