„Es ist eben nur ein Abenteuer“

Die Oper spitzt zu und erhitzt, der Loop entdramatisiert: In seiner „Tosca“ in der Volksbühne rahmt Regisseur Sebastian Baumgarten die Musik von Puccini mit den Elektroklängen von Tarwater. Und entdeckt nebenbei ein neues Latein für die Küche

1969 in Ostberlin geboren, hat Sebastian Baumgarten Opernregie an der Musikhochschule Hanns Eisler studiert. Er war Assistent von Ruth Berghaus und arbeitete mit Einar Schleef. Als Regisseur für Theater und Oper hat er sich seit 1992 einen Namen gemacht, nicht zuletzt, weil er von den Klassikern aus oft ungewöhnliche Wege zu heutigen Diskursen fand. Manchmal schichtet er Kontexte knüppeldick und beutet alle Schnittstellen aus, dann gelingen ihm wunderbar durchlässige Werke, wie vor zwei Jahren mit Händels „Orest“ an der Komischen Oper Berlin. „Tosca“, Premiere am Freitag, ist seine erste Arbeit an der Volksbühne Berlin.

INTERVIEW KATRIN BETTINA MÜLLER

taz: Sebastian Baumgarten, Sie inszenieren „Tosca“ an einem Theater, der Berliner Volksbühne, und nicht an einem Opernhaus. Geht hier etwas, das an einer Oper nicht gehen würde?

Sebastian Baumgarten: Mit Sicherheit, das sind strukturell andere Bedingungen mit anderen Möglichkeiten. Zudem hat man an diesem Haus viel Theater gesehen, von René Pollesch und Frank Castorf, das sich über Musikalität bestimmt hat, neben allem Politischen und Sozialen. Hier wurde nie in erster Linie über Psychologie erzählt, sondern über Musikalität, ein episches Moment im Grunde.

„Tosca“ kennt man als Oper Puccinis. Sie benutzen als Ausgangspunkt das Drama von Victorian Sardou, das dem Libretto zugrunde lag. Kitzeln Sie das Theater aus der Oper heraus?

Mich interessiert der Kontrast zwischen der dramatischen Oper, die man kennt, und dem vergessenen Boulevardstück von Sardou – eine groteske, überzogene Komödie. Diesen Kontrast wieder neu aufzumachen, finde ich spannend. Ob ich das Theater oder die Oper rauskitzeln will, kann ich nicht sagen – ich will gerne auf einen dritten Begriff kommen, wo das Singen die Endstufe der Not ist.

„Tosca“ hat einen verwirrenden Plot, es gibt einen flüchtenden Konsul, eine eifersüchtige Sängerin, einen verfolgten Maler, Folterkeller, Hinrichtungskommandos. Wirkt das auf dem Theater nicht nur kurios?

Wenn man es in der Oper sieht, dann ist es wie ein Rückblick auf das dramatische Zeitalter. Im Theater, denke ich, kann man das nur noch überhöhen und mit Humor nehmen. Die Verhältnisse in der Oper erscheinen irreal, das gibt es heute in der Realität eher in Südamerika. Hier dagegen, in Mittellage Europa, eher nicht. Hier ist alles Mittellage, die Politik, der Ton, die öffentliche Meinung. Was das an Lebensimpulsen hergibt, ist eine andere Frage. Hinter der Verzerrung, die man als Oberfläche zeigt, liegt vielleicht doch irgendwo eine Wahrheit. Denn es geht in dem Stoff auch stark um Schein und Realität. Es gibt zum Beispiel die Verabredung einer Hinrichtung zum Schein, die dann aber doch ein Täuschungsmanöver für eine echte Hinrichtung ist. Das überschneidet sich mit Texten von Sartre, der der Frage nachgeht, ob man das Leben spielt oder im Leben ist. Das hat viel mit der Figur von Tosca zu tun.

Wieso?

„Nur der Kunst widmete ich mein Leben“, das sind Toscas Worte. Sie wird als eifersüchtiger und frommer Charakter gesehen. Das geht auf eine extreme Verlustangst zurück, sie hat ihre Eltern verloren und sucht Ersatz in der Kirche. Sie ist immer nah an Maria dran und redet in Gebeten mit ihr. Da ist nie sicher, ob die Gefühle, die kommen, real oder gespielt sind und sie selbst das noch unterscheiden kann.

Für Puccinis Musik arbeiten Sie mit dem Filmorchester Babelsberg, hinzu kommen die melancholischen Soundflächen der Tarwater-Musiker Ronald Lippok und Bernd Jestram. Das Geräusch eines Aufzugs, Telefonklingeln, gefilterte Stimmen: Mit solchen akustischen Elementen erweitern Sie die Instrumentierung. Erklären Sie die Oper damit zu einem Hintergrundgeräusch des Alltags?

Des Alltags nicht. Weil aber die Opernmusik teilweise nur fragmentarisch da ist, bekommt das Orchester einen zeitgenössischen Rahmen. Der besteht aus einer Musik, die den Loop als Grundlage hat. Tosca ist eines der dramatischesten Opernwerke, mehr als „Bohème“, mehr als Wagner, so erhitzt und zugespitzt zwischen oben und unten. Tarwater nimmt davon ein Fragment, loopt das Fragment, und sofort ist die Dramatik weg. Das Verhältnis zwischen dem entdramatisierten und dem dramatischen Impuls des Orchesters, das ist das, woran wir arbeiten.

Ihre Arbeit als Regisseur ist oft geprägt durch das Schichten von Bezugsebenen. Wohin wollen Sie „Tosca“ bringen?

Schon im Stück angelegt, in der Oper aber nicht ausgesprochen, ist ein Politkrimi auf dem Hintergrund einer sehr modernen, von Katastrophen bedrohten Welt. Eigentlich sehr gegenwärtig in bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Das will ich verstärken. Da gibt es die Figur von Scarpia, dem Polizeichef. Er ist in Rom neu eingesetzt, gerade acht Tage im Amt, da ist ihm schon der erste Gefangene entflohen. Nach acht Tagen schon versagt. Als er den Gefangenen hat, haben sich die Machtverhältnisse schon wieder geändert, aber er kann sich nicht darauf einstellen und hält aus Trieb, Lethargie an einer überholten Geschichte fest.

Beim Besuch einer Probe fiel mir auf, wie ausführlich Lars Rudolph als Maler Cavaradossi die Rolle des Künstlers reflektiert. „Ich kann mir doch nicht jeden Tag ein Ohr abschneiden“, klagt er mit einem Zitat von Kippenberger. Ist die Glaubwürdigkeit des Künstlers für Sie ein Problem?

Was uns alle sehr beschäftigt als Künstler, ist, dass wir gerne mehr eingreifen würden mit dem, was wir tun. Das scheitert genauso, wie es bei den Politikern scheitert. Da kämpft man gegen etwas an, was einen an unsichtbarer Hand führt. Darunter leidet man. Das beinhaltet der Stoff von Tosca, dass ein Künstler plötzlich in politische Handlungen eingebunden ist und mit der selbstgewollten Politisierung untergeht. Mich erinnert das an westdeutsche Geschichte, wenn ich zum Beispiel an Holger Meins und Harun Farocki denke, beide Dokumentar- und Experimentalfilmer vor 1968 und dann geht der eine den Weg des Künstlers, der andere in die RAF. Man kokettiert ja gerne, gerade am Theater, mit Revolutionsgesten und damit geht der Zweifel an der eigenen Glaubwürdigkeit einher. Es ist eben doch nur ein Abenteuer, nicht die gefühlte Not, die einen treibt.

In einer Szene hat Kathrin Angerer als Sängerin Tosca gekocht, schwenkt den dampfenden Nudeltopf wie ein Weihrauchfass und singt dabei ein lateinisches Gebet. Wie entstehen solche Bilder?

Es gibt ein paar Grundvorgänge – Einnahme von Drogen, Beten, Sterben –, die kann man nicht inszenieren, die muss man in Zeichen überführen. Hinzu kommt: Das Gebet, das sie singt, ist eine Ausrede, um sich den Maler vom Leib zu halten. Also überlegt man: Jetzt nimmst du dir das, was am absurdesten scheint, und schwenkst es bei dem Gebet. So kommt der Kochtopf dahin.