Die heile Welt der Schokolade

Das „Chocoladium“ im Bremer Universum bietet hoch sinnliche Einblicke in viele Facetten der Kakaoverarbeitung. Das Thema Kinderarbeit gehört nicht dazu, aber hiesige Heranwachsende können so ziemlich alle Verfahrensschritte selbst erproben, die aus dem gerösteten Kern eine zart cremige Masse machen

VON HENNING BLEYL

Eine begehbare Kakaofrucht ist eine feine Sache. Im Inneren zwitschern Urwaldvögel, das Licht ist durch das Fruchtfleisch angenehm gelb-orange gefiltert und die Kakaobohnenhocker bieten mehr Sitzkomfort, als man vermuten würde. Vor allem aber lernt man in dieser Wellness-Kapsel natürlich, schließlich ist das „Chocoladium“ Teil des Bremer „Universums“, des interaktiven Science-Centers, wie die Museen früher zu Recht noch nicht hießen.

Auf dem Kakaobohnenhocker kann man also in Ruhe noch mal rekapitulieren, was auf den überlebensgroßen Schokotafeln im Eingangsbereich so alles zu erfahren war: Dass englische Schokolade in der Regel viel weniger Kakao enthält als französische. Dass der Schwizerdütsche über zehn Kilo „Schoggi“ pro Jahr verspeist. Dass jeder Deutsche, auch nicht faul, pro Jahr statistisch 91 100 Gramm-Tafeln in sich aufnimmt. Dass es in Bremen aber drei Mal so viel regnen müsste – mal abgesehen von der Wärme –, damit hier Kakaobäume wachsen könnten. Dass sich 39 Prozent der weiblichen Bevölkerung, aber nur 15 Prozent der Männer als schokoladensüchtig definieren.

Neben all‘ diesen Erkenntnissen der Kategorie „Hätten Sie‘s gewusst?!“ hat das „Chocoladium“ vor allem den Reiz des Selbermachens zu bieten. Und „Selbermachen“ ist in Bezug auf Schokolade wahrlich eine sinnliche Angelegenheit. Schon das Zerstampfen der gerösteten Bohnen in großen Steinschüsseln produziert allerlei Aromen, anschließend dürfen die BesucherInnen ihr Stösselwerk durch verschiedene Siebe schütteln. Das beste aber ist das Mahlen: Auf dem Arbeitstresen stehen stabile Handmühlen, in denen der noch grobe Kakaobruch zusehends feiner – und schmackhafter wird. Bei den Azteken war bei dieser Stufe der Kakaoverarbeitung bereits Schluss, wie man auf den appetitlich braunen Texttäfelchen erfährt: Gemischt mit Vanille und Chili war ihr Theobromin-Cocktail bereits perfekt. In der Tat schmeckt das grünbraune Kakaogekrösel ziemlich lecker, was man im Zuge des Eigenproduktionsversuchs natürlich laufend selbst überprüfen kann.

Auch, wenn man sich aufs Betrachten beschränken muss, ist die Kakakoverarbeitung eine hoch sinnliche Angelegenheit. Der Bremer Schokoladenproduzent „Hachez“, ohnehin Mitfinanzier und werbestrategischer Mitnutzer des „Chocoladiums“, hat seine alten Maschinen zur Verfügung gestellt, in denen sich „live“ tonnenweise Schokolade durch die Ausstellungsräume wälzt. Zum Beispiel in der gewaltigen „Schlagmessermühle“: Die Hitze der fortwährenden Rotation bringt den Bruch erstmals zum Schmelzen. Was sich hier ebenso viskos wie unwiderstehlich im glänzenden Kessel breit macht, ist auch optisch bereits sehr nah an unseren Schokoladevorstellungen. Dann allerdings beginnt erst das bis zu 72 Stunden dauernde Conchier-Verfahren, dessen Dauer die Geschmackseigenschaften des Endprodukts wesentlich mitbestimmt.

Die eigenen geschmacklichen Fähigkeiten kann man mit Hilfe eines Computers testen, aus den eingegeben Gaumenwahrnehmungen errechnet er ein individuelles „Geschmacksdreieck“, das mit dem eines Profi-Verkosters verglichen wird – freundlicherweise ist letzteres so groß gezeichnet, dass sich die allermeisten mit ihren Gaumenleistungen einigermaßen zufrieden fühlen können. Eine Auswahl der weltweit über hundert verwendeten Schokoladenzutaten wie Weihrauch oder Bergkäse kann in Plexiglaswürfeln errochen werden, ein Schokoladenmikroskop erlaubt den Blick auf allerfeinste Kakaoteilchen, aphrodisierende Aspekte fehlen ebenfalls nicht und wer die Emulgiergläser schüttelt, erfährt etwas über das Wesen der Kakaobutter.

Die AusstellungsmacherInnen haben sich wirklich viel einfallen lassen, um das Thema von vielen Seiten her erfahrbar zu machen. Die Schattenseite des Schokoladengeschäfts, etwa in Gestalt von Kinderarbeit auf den Plantagen, bleiben allerdings ausgespart. Dieses Problem begleitete auch schon die große Schokoladen-Ausstellung des Bremer Übersee-Museums vor sechs Jahren. Dort konnte die Lücke immerhin durch Katalogbeiträge gefüllt werden. Dem „Chocoladium“ bleibt die Sinnhaftigkeit der Sinnlichkeit.

Das „Chocoladium“ ist bis zum 30. September im Neubau des Bremer „Universums“ zu besichtigen. Weitere Informationen über das Science-Center im Internet unter www.universum-bremen.de