: „Eine Frage der Ehre“
Seit einem Monat ist Andreas Vasterling im Hungerstreik, um die Wiedereinreise von Gazale Salame zu erreichen. Diese wurde vor drei Jahren von ihrer Familie getrennt und in die Türkei abgeschoben
ANDREAS VASTERLING, 46, gelernter Maler, ist zurzeit arbeitslos. Seit einem Monat ist er für Gazale Salame im Hungerstreik.
INTERVIEW FRIEDERIKE GRÄFF
taz: Herr Vasterling, Hungerstreik ist in Deutschland eine eher seltene Form des Protests geworden. Warum wollen Sie sich ausgerechnet auf diese Weise für die Rückkehr der abgeschobenen Gazale Salame einsetzen?
Andreas Vasterling: Wir haben immer zu Salame gesagt: Halt durch bis das Urteil kommt. Und dann lehnte das Gericht die Wiedereinreise ab, was eindeutig ein politisches Urteil war, um der Landesregierung einen Gefallen zu tun. Danach beschloss Ahmed, der Ehemann von Gazale, in Berufung zu gehen. Ich dachte: Das ist alles gut und richtig, aber kann Gazale noch ein Jahr durchhalten? Was mir als erstes einfiel und von dem ich dachte, dass es in der Öffentlichkeit Sympathie erzeugt und nicht Ablehnung, war ein Hungerstreik.
Salame Gazale ist bereits vor drei Jahren mit einem ihrer Kinder in die Türkei abgeschoben worden, während ihr Mann mit zwei weiteren Kindern weiter in Niedersachsen lebt. Wäre es nicht am sinnvollsten, er folgte ihr in die Türkei?
Das niedersächsische Innenministerium wirft uns immer wieder vor, wir seien schuld an der Tragödie, weil wir Ahmed falsch beraten würden. Das stimmt nicht. Wenn Ahmed ginge, würde das Innenministerium das mit Sicherheit als Eingeständnis sehen, dass er Türke ist. Wir wollen die Sache erst einmal ein Stück weit fortführen und fordern Gazales Wiedereinreise zum Verfahren.
Wie lebt die Familie unter den Bedingungen der Trennung?
Gazale lebt in der Türkei mit ihrer kleinen Tochter und dem zweijährigen Sohn, der in der Türkei geboren ist und den der Vater nur von Fotos kennt. Die beiden Mädchen, die beim Vater geblieben sind, waren vor der Trennung aufgeweckte und an allem interessierte Mädels, danach rutschten sie in der Schule stark ab. Das bezeichnet das Innenministerium als Zeichen schlechter Integration, was vollkommener Quatsch ist, denn vorher war es nicht so. Dazu kommt: Wer das Bleiberecht behalten will, muss Arbeit haben. Ahmed Salame hat gerade einen neuen Arbeitsvertrag unterschrieben, bei dem er 2.500 Euro verdient. In der Türkei, deren Sprache er nicht spricht, könnte er seiner Familie nicht eine solche Perspektive bieten.
Hatten Sie jemals direkten Kontakt zu Gazale Salame?
Sie hat sich von einer der Unterstützerinnen meine Nummer geben lassen, weil sie mich unbedingt einmal kennen lernen wollte. Das erste Telefonat traf mich völlig unvorbereitet. Sie sagte, dass sie schon eine Menge von mir gehört hätte. Außer, dass ich nun diesen medienkompatiblen Hungerstreik inszeniert habe, haben wir ja Veranstaltungen mit Politikern initiiert, wir sind die Landrätin und den Landrat angegangen, haben demonstriert. Sie sagte, ich sollte mich ihretwegen aber bitte nicht umbringen. Wenn sie nach Hause – das ist für sie Deutschland – zurück käme, dann wolle sie ein Essen für mich kochen. Und dann hat sie mir erzählt, dass sie immer noch nicht verstanden hat, warum sie abgeschoben worden ist. Sie sei doch ein Kind gewesen, als sie nach Deutschland kam.
Das niedersächsische Innenministerium wirft Salame vor, sich bei ihrer Einreise nach Deutschland als staatenlose Kurdin aus dem Libanon ausgegeben und damit ihre türkische Staatsangehörigkeit vertuscht zu haben.
Sie ist mit ihren Eltern über die Türkei nach Deutschland eingereist und dort haben sie ein halbes Jahr lang gelebt. Dass sie das verschwiegen haben, war natürlich ein Fehler. Daraus wurde irgendwann eine türkische Staatsbürgerschaft konstruiert. Die Personenregister in der Türkei werden weitergeführt, auch wenn die betreffenden Familien schon lange nicht mehr in der Türkei leben. Die Mhallami, ein arabischer Volksstamm, zu dem auch die Salames gehören, sind schon in den 1920er Jahren in den Libanon ausgewandert. Gazale war aber durch die Ehe mit Ahmed vor der Abschiebung geschützt bis zu dem Moment, wo Ahmed der gleiche Vorwurf gemacht wurde.
Wie lebt Salame Gazale jetzt in der Türkei?
Sehr schwierig. Unterstützer haben Kontakt zu einer Familie mit ähnlichem Schicksal in Izmir aufgenommen. Dort lebte sie über ein halbes Jahr, was zu Spannungen führte, weil es sehr beengt war. Wir sammelten Spenden und haben ihr dann eine eigene kleine Wohnung besorgt. Sie lebt dort in einem sehr traditionellen Viertel und weil sie das Kopftuch nicht ganz so tief herunterzieht wie die anderen Frauen, kritisiert man sie. Sie ist dort eine „Deutschländerin“, die man immer fragt: „Wo ist dein Mann, warum lässt er dich alleine?“ Die Ärzte einer türkischen Menschenrechtsorganisation haben festgestellt, dass sie unter ähnlichen Symptomen wie Folteropfer leidet und suizidgefährdet ist.
Worauf setzen Sie bei einem Prozess?
Bei der Familie von Ahmed sind alle Vorwürfe falsch. Es gibt jede Menge Personregisterauszüge, die belegen, dass die Familie schon seit den 50er Jahren im Libanon als staatenlose Kurden geführt wurden. Wenn Ahmed einen Aufenthaltstitel erhält, kann auch Gazale bleiben.
Innenminister Uwe Schünemann (CDU) argumentiert damit, dass er angesichts der rund 230 Mhallami-Familien in Niedersachsen keinen Präzedenzfall schaffen will.
Das tut er nicht. Bei manchen Familien mag es ähnlich gelagerte Gründe geben wie bei den Gazale und Ahmed, aber bei anderen sind es ganz andere.
Wie wurden Sie überhaupt auf Gazale Salames Fall aufmerksam?
Der Umgang mit Flüchtlingen hat mich schon lange beschäftigt. Aber ich habe mich vorher nicht richtig engagiert, bis zu einem Demoaufruf, wo wir auch Familienmitglieder hörten. Bei einem Unterstützertreffen habe ich Ahmad kennengelernt. Es gab auch eine andere Mhallami-Familie dort, die kaum, dass wir uns damit beschäftigen konnten, schon in die Türkei abgeschoben worden war. Dass es nun Gazale und Ahmed sind, für die ich den Hungerstreik mache, ist auf eine Weise zufällig. Aber wenn man ein Mensch ist und ein Herz hat, dann muss man sich mit einer gewissen Akribie in die Sache stürzen. Für mich ist es schon fast eine Frage der Ehre.