Berliner Platten : Berliner Popmusik mit dem Verfremdungseffekt: So lassen sich selbst die alten Hits für ein „Big in Japan“ neu hören
Ist ja schon alles da mit Sushi, Manga und Tokio Hotel, dass der damit längst kulturell auf Japan eingestimmte deutsche Bundesbürger wohl meint, sich gar nicht mehr so recht vor Ort im Land umschauen zu müssen. Jedenfalls scheint das deutsche Interesse an Japan doch kleiner als das japanische Interesse an Deutschland, wenn man zum Beispiel mal die Studierendenzahlen anschaut. Im Jahr 2004 etwa schrieben sich von den knapp 70.000 deutschen Auslandsstudenten gerade einmal 308 in Japan ein. Dreihundertundacht! Umgekehrt dagegen waren es 2.500 Japaner, die sich hier immatrikulierten, was man vielleicht ja auch mal wissen wollte, selbst wenn es jetzt doch um die Musik geht, mit der Deutschland in Japan präsentiert werden soll.
Es handelt sich also um den „Poptastic Conversation“-Sampler, für den hiesige Bands von Wagner und Pohl bis zu den Ärzten – die hübscherweise mit „Rettet die Wale“ – ihr Liedgut in Japanisch eingesungen haben. Und das ist allerdings dann wieder eine Art Verfremdungseffekt, dem man doch mit Gewinn auch hier nachhorchen darf. Ob zum Beispiel in diesem V-Effekt nicht vielleicht sogar deutlicher das „Typische“ zu hören ist, also auch das „typisch Deutsche“ wie die Neudeutschwelligkeit von Wir sind Helden etwa. Jetzt, wenn man nicht mehr auf den Text hören muss, weil man den wahrscheinlich sowieso nicht versteht. Wer kann denn in Deutschland schon Japanisch!
Die Poptastic Conversation ist auch ein Berlin-Sampler geworden, mit dem man (plus einem kleinen Hamburger Gastbeitrag von Bernd Begemann) halbwegs exemplarisch das Liedschaffen der Stadt vorführen kann: Die Ärzte, die Helden… die Fans der Einstürzenden Neubauten brauchen den Sampler schon deswegen, weil sie eine weitere Version von „Blume“ finden werden, und Stereo Total klingen auf Japanisch tatsächlich noch mehr nach Stereo Total, die ja mit ihrem Franzosenbeat für die Jetztzeit immer schon lost in translation in einem Sonderuniversum beheimatet waren.
Andererseits würde man aber schon auch gern wissen, was denn der japanische Gasthörer so hört bei dieser Musik, der doch kaum im Kontinuum des deutschen Popschaffens stehen dürfte und den fernwehen Schlagerhorizont Deutschlands eher nicht kennt. Wie reagieren also Japaner auf so Japonaiserien wie „Yama-Ha“ von den Humpe-Schwestern? Man weiß es nicht.
Zu den vornehmeren Aufgaben einer Kompilation zählt, ein Kuriositätenkabinett zu sein. Sammel-Stoff. Was hier vorbildlich erfüllt wird. Eine nette Geschäftsidee ist es dazu. Zur Musik gibt es auf einer Bonus-CD einen Crash-Kurs Deutsch-Japanisch, und verdanken tut man diese Sache den Fly Fast Records – eine Unterabteilung von Lieblingslied Records –, die bereits den Soundtrack von „Beijing Bubbles“, der Doku über Rockmusik in der chinesischen Hauptstadt, herausgebracht haben und sich noch viel intensiver um die Musik Asiens widmen wollen. Und so eine Kompilation mit all diesen tollen japanischen Sixtiesbands, die zum Beispiel Drafi Deutscher covern, das wäre schon mal großartig. THOMAS MAUCH
Poptastic Conversation (Fly Fast Records/Al!ve)