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Archiv-Artikel

ACHSE DES HOUSE – UH-YOUNG KIMGespaltene Persönlichkeit

Vor zwei Jahren fanden die beiden Künstlerpersönlichkeiten von Justus Köhncke noch auf einem Album Platz, nun gehen Chansonier und Dancefloordienstleister getrennte Wege. Als Kinky Justice veröffentlicht der Exzentriker unter den Kölner Clubmusikern die 10-Inch „Music & Lyrics“ mit Coverversionen von Iggy Pop oder Todd Rundgren. Dabei kokettiert das einstige Mitglied des Pophousetrios Whirlpool Productions heftig mit dem dilettantischen Charme einer Nico. Unter seinem bürgerlichen Namen wiederum erscheint das Dancealbum „Safe And Sound“ beim Technotraumschiff Kompakt. Auf Discoperlen wie „Parage“ knüpft Köhncke weiter an die Groovealchemie der New Yorker Band Chic und des Chicago-House-Maestros DJ Pierre an, um den Moment des kollektiven Freudentaumels bis ins Morgengrauen zu verlängern.

Köhnckes Ausweg aus der Gleichförmigkeit von Dancemusic nach dem Minimal-Techno-Boom der vergangenen Jahre aber heißt nun nicht mehr Schlagerpop wie auf seinem ersten Album, sondern Krautrock. Darauf verweist nicht nur das Remake des Stücks „Feuerland“ von Michael Rother. Oft ufern die eleganten Tracks in verspulte Schleifen aus. Die Hinwendung zur psychedelischen Verdichtung liegt nahe, hat Köhncke doch jahrelang im legendären Can-Studio produziert. Auch der Wiedergeburt der Cosmic Disco, wie sie in den Achtzigern zwischen München und Gardasee aufkam, fügt er auf „Safe And Sound“ seine eigensinnige Note hinzu.

Justus Köhncke: „Safe And Sound“ (Kompakt)

Verstrahlte Goldkehle

Wenn Köhncke noch ab und zu als Neffe von Nico auftritt, könnte sein ehemaliger Bandkollege Eric D. Clark das uneheliche Kind von Funkstar Sly Stone und Diskoavantgardist Arthur Russell sein: ein Brückenbauer zwischen Soul und Techno mit Wunderkindvergangenheit am klassischen Klavier und Hang zum obsessiven Perfektionismus.

Letzterem könnte es geschuldet sein, dass Eric D. Clark neun Jahre gebraucht hat, um seinem Debüt eine zwei Platte folgen zu lassen. Dafür werden auf „E=dC“ sämtliche Facetten der kalifornischen Glamdiva mit Wohnsitzen in Berlin, Köln, Paris und Los Angeles geboten: hart gebender Chefrocker, funky Housepianist im Mozartkostüm, grenzüberschreitender Downtowndandy, Moroder-Zitierer, Motownromantiker oder – neu im bezaubernd schillernden Identitätskarussell – iberischer Squaredancekoordinator.

Dabei scheint Clark seine Stimme erst jetzt richtig gefunden zu haben. So tönt es oft und glücklich verstrahlt aus der Goldkehle, die das Stück „From Disco to: Disco“ zum Klassiker gemacht hat.

Manch einem mag das zu viel für den Tanzgebrauch zu sein. Nie aber wirkt der Gesang fehl am Platz, ist er doch tief im Soul als gemeinsamem Nenner von Disco, House und Techno verwurzelt.

Mit einem Fuß im bauchig amerikanischen Groove, dem anderen in der europäisch klackernden Afterhour und mit dem Kopf schon lange in den Sternen, macht sich Eric D. Clark die Welt, wie sie ihm gefällt.

Eric D. Clark: „E=dC“ (Firm/Kompakt)

Optimale Übertragung

David James Wolstencroft hat zwar nie mit Hans Nieswandt im Studio abgehangen, aber auf den Plattentellern aller drei Ex-Whirlpool-Mitglieder dürfte er mit dem Diskohouse, den er als Trus’me produziert, garantiert landen. Das Album „Workin’ Nights“ versammelt nun zuvor auf Spezialistenlabels verstreute Maxis und neue Tracks des Produzenten aus Manchester. Er folgt dabei fast schon pedantisch den Pfaden der Detroiter Ikonen Moodymann und Theo Parrish. Eine dem Hiphop nahe Sensibilität für Soul und Jazz, hypnotische Soundschlieren, runde Kicks, zischende Hihats und das unverzichtbare Marvin-Gaye-Sample – fertig ist der perfekte Deep House.

Das gelingt den europäischen Epigonen inzwischen oft besser als den Erfindern aus den USA. Während diese die Tanzmeute mittlerweile oft mit Jazzexkursen aushungern, serviert Trus’Me genau das, was der europäische Houseconnaisseur im Herzen will. Mit einem lässigen Afrobeatschunkler geht es los, dann folgt ein glitzernder Diskoedit nach dem anderen – ab in den Geigenhimmel mit heißen Backgroundgesängen und treibenden Grooves. Als Übergänge dienen coole Blaxploitation-Zitate. Höhepunkt ist das epische „W. A. R.“: In dem zwölfminütigen Stück präsentiert Trus’Me eine Genealogie seiner Ästhetik von Studio-1-Dub über den Hiphop von J Dilla und Ol’ Dirty Bastard bis zur politischen Dringlichkeit von „What’s Going On“, um dem irdischen Trubel schließlich mit afrofuturistischem Techno zu entkommen.

Trus’me: „Workin’ Nights“ (Fat City/Groove Attack)