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Archiv-Artikel

Luft schlucken

„helden:tot“ ist ein Hörspiel-Monolog über das Leben nach der Win-win-Situation, durchschlagend umgesetzt vom Sprecher Andreas Fröhlich

Jung sollst du sein, heißt es in der Werbebranche, mehr noch als anderswo. Marcus Wennmann wurde entlassen, weil er mit Ende dreißig zu alt ist. Sein Assistent, blutjung und „gesegelt auf allen sieben Weltmärkten“, wird ihm vor die Nase gesetzt. Wennmann sitzt im Wohnzimmer und beginnt zu begreifen, dass aus ihm vielleicht doch kein Global Player wird. Dass es vorbei ist mit den Latte-macchiato-farbenen Designersitzen, vorbei mit den nussknackerbraunen Sekretärinnen, vorbei mit dem Edelstahl-Espresso im Vorzimmer.

Seinen Frust spricht er zu Hause ins Diktiergerät, kotzt die Slogans raus, die er produziert hat, und die gesamte geschluckte Luft kommt ihm wieder hoch. „Be your own hero“, hat er für eine Sportartikel-Firma getextet. Jetzt bleibt ihm nichts übrig, als sein eigener Held zu sein; also will er sein Scheitern vermarkten und einen „Helden-Podcast“ produzieren, das Ganze parodieren bis zum Showdown.

„Das Shrimps-Cocktail-Dasein ist glasklar vobei“, bekennt Wennmann, schlabbert Kartoffelsalat aus der Dose und verliert sich in Tagträumen. Er sieht sich als Talkshowgast bei Beckmann sitzen, der ihn den „neuen Marketing-Papst“ nennt. Joviales Lachen und immer schön drüberstehen – das ist die Haltung, an die Wennmann lange genug selbst geglaubt hat. An das Leben als Win-win-Situation, wenn man sich nur genügend anstrengt, wenn man Bausparkassenverträge abschließt und beschleunigt durch Vororte geigt. Und nun schaut er auf die Arbeitsmaxime hinter dem „wenn man“ zurück.

„Du kannst alles schaffen, aber es wird nie genug sein. Ich meine, Sie kennen das, na, man fängt bescheiden an, Sie vögeln zum ersten Mal auf einem schwedischen Selbstbaubett, ja, das zweite Mal auch, aber dann denken Sie, wie wärs denn mit nem Wasserbett, und überhaupt, wie wär es, wenn Sie sich dazu gleich auch noch ne andere Lady anschaffen würden – größer, blonder, versauter, ja, einfach eine Special-Edition-Ausgabe mit hochwertigeren Komponenten und einem edleren Gehäuse.“ Ein entlassener Top-Dog oder einer, der sich dafür gehalten hat, erkennt das falsche Versprechen, dem er aufgesessen ist – kein neues Thema vielleicht, aber wie Andreas Fröhlich diesen Monolog von Stefan Sprang umsetzt, ist schlicht durchschlagend. Er legt los im koksigen Größenwahn der Werber, jagt die Sätze wie Flipperkugeln gegen die Schädeldecke und ist gedanklich immer schon drei Ecken weiter als dort, wo er gerade spricht. Millimetergenau gearbeitet ist dieser Text in der Regie von Kai Schwind, mehrspurig gedacht und bis in die Tiefen empfunden. Für diese sprecherische Leistung wurde Fröhlich für den Deutschen Hörbuchpreis 2007 nominiert, der im kommenden März vergeben wird.

„Glück ist machbaaar“, tremoliert er mit hohlem Nachklang und lässt all die anderen Sprüche hinterherprasseln: „Wir müssen etwas riskieren, sagen die, die nichts verlieren können. Wir müssen flexibel sein, sagen die, die ihren Platz haben. Wir müssen die Angst überwinden, sagen die, die nichts zu befürchten haben. Wir müssen Verantwortung übernehmen, sagen die, denen sie egal sein kann.“ Ein biblischer Furor, in den sich der Gefallene steigert, ohne im Selbstmitleid zu waten, und das ist das Schöne an diesem Hörbuch: Es verschwistert Pathos mit Ironie, es parodiert den Werbe-Sprech in einer Weise, die witzig und zynisch ist und alles erzählt über den unhinterfragten Glauben an das Heldentum durch Arbeit.

Kurz vor dem Kollaps, als man beim Hören selbst schon beginnt, Luft zu schlucken, mündet der Monolog in einen alten Schlager von Hans May, gesungen von Joseph Schmidt, der einen letzten Lehrsatz mit Inbrunst auf den Punkt schmettert: „Es wird im Leben dir mehr genommen als gegeben. Ja, das ist so im Leben eben, hab Mut, hab Mut.“

IRENE GRÜTER

„helden:tot“. Sprecher: Andreas Fröhlich. Regie: Kai Schwind. Mischmut 2007, 14,90 Euro