ortstermin: Die Jacobs University lädt zum Europacup der Debattierclubs : Beliebigkeit als Botschaft
In der Reihe ,Ortstermin“ besuchen AutorInnen der taz nord ausgewählte Schauplätze am Rande des Nachrichtenstroms
Sie nennen sich „Stuttgart Smart“ oder „Erasmus Double Dutch“. Ihre Ferien verbringen sie vermutlich mit Praktika bei der EU-Kommission oder der OSZE und in ihrer Freizeit streiten sie sich um Fragen wie „Sollten Arzneimitteltests in Entwicklungsländern verboten werden?“
Nun ist es nicht so, dass es kein sinnvolles Vorhaben wäre, dies zu klären, doch darum geht es nicht. Die Rede ist von studentischen Debattierclubs, wie sie sich an gewissen Hochschulen wachsender Beliebtheit erfreuen. Zu diesen zählt auch die private „Jacobs University“ in Bremen. Am Sonntag lud die dortige „Debating Society“ zum Finale der „Jacobs Open“ in die obere Halle des historischen Bremer Rathauses. Der Ort ist wohl gewählt, denn diskutiert wird nicht irgendwie, sondern im „Traditional British Parliamentary Style“. Am Eingang wird man von sehr höflichen Freiwilligen empfangen, denen es nicht im Mindesten unangenehm ist, dass sie während ihres „sozialen Engagements“ aussehen, wie das Empfangspersonal eines Luxushotels.
Das Prinzip ist einfach: Vier Teams, zwei Blöcke, 15 Minuten Vorbereitungs- und sieben Minuten Redezeit.
Ein Literaturprofessor spricht einleitende Worte, nennt die Debattierer „Meister der Manipulation“ und „geborene Politiker“. Gefühlte 87 Mal verwendet er das Wort „clever“ um die Kunstfertigkeit zu beschreiben, mit der die jungen Elitestudenten ihre Argumente darlegen, die bei aller Elaboriertheit doch nichts weiter sind als austauschbare Worthülsen. „Authentizität“, so teilt der Professor mit, sei wichtig. „Authentizität“ bedeutet in der Welt der Debattierclubs, wo die Position per Los und das Thema per Verordnung vergeben werden, „die neueste Statistik“ oder „ein griffiges Zitat“. Ansonsten: „Dreht ihnen das Wort im Mund herum bis sie aufspringen und rufen: ‚Das habe ich nicht gesagt‘. In dem Moment habt ihr gewonnen.“
Beliebigkeit als Prinzip. Man mag dies überflüssig finden oder praktisch, aber es schult doch fraglos die rhetorischen Fertigkeiten auf allerhöchstes Niveau. Doch die Turniere sind nicht bloß eine etwas exaltierte Variante von „Jugend im Parlament“. Sie sind ein Automat der zuverlässig, jedes Jahr aufs Neue, eine Fülle an Positionen mit wohlklingenden Namen ausspuckt: „Convenor“, „Competence Center Coordinator Tournament“, „Competence Center Coordinator Public Relations“ und so weiter. Wo die Stromlinienförmigkeit so virulent ist und der Zwang, „soziales Engagement“ nachzuweisen, über Karrieren entscheidet.
Es gewinnt: Die „Regierung“, die Arzneitests werden verboten.
Und, ja: Auch die jungen Meister der freien Rede verhaspeln sich, verlieren den Faden, stottern. Aber sehr selten.
Christian Jakob