Italiens Großmeister der Winkelzüge

Als „wahres Genie“ durfte Silvio Berlusconi sich jetzt in der italienischen Presse feiern lassen. Und zwar nicht von irgendeinem seiner meist servilen Gefolgsleute, sondern von einem der engsten Berater Romano Prodis, dessen Skalp Berlusconi gerade erobert hatte. Kaum jemand in Italien mag noch diesem Befund widersprechen. Immer wieder galt Berlusconi seit seiner Wahlniederlage 1996 als politisch erledigt, immer wieder aber schaffte er es nicht bloß zurück auf die Bühne, sondern vorne an die Rampe, als Hauptdarsteller eines Stücks, dessen Drehbuch er auch gleich selbst schreibt.

Zum Beispiel die gegenwärtige Regierungskrise: Sie hatte genau besehen nur einen Protagonisten – Berlusconi. Tag für Tag fragte sich das Land: Was macht Silvio? Untertänigst trat das gerade gescheiterte Mitte-links-Bündnis an ihn heran mit der höflichen Bitte, er möge sich doch zur Beteiligung an einer Übergangsregierung herbeilassen. Untertänigst übte der mit der Regierungsbildung beauftragte Franco Marini sanften „Druck“ auf ihn aus – einen Druck, der von der Prämisse lebte, Berlusconi halte das Schicksal Italiens in der Hand. Dessen gnädig-unnachgiebige Antwort lautete: Dialog ja, aber erst, wenn ich die Wahlen gewonnen habe. Erneut erwies sich Berlusconi so als Meister der politischen Winkelzüge. Eine Mitte-links-Allianz, die ihn gerade erst als Koalitionspartner – und sei es nur für eine Interimsregierung – umwarb, kann ihm kaum noch glaubwürdig seinen Interessenkonflikt als politisierender Medienmogul, seine weiterhin ungelösten Probleme mit der Justiz vorrechnen.

So erreichte Berlusconi schon jetzt ein formidables Resultat – nie konnte er entspannter in einem Wahlkampf gehen. Nicht bloß gilt er als Favorit, er darf auch all die lästigen Geschichten aus seiner Vergangenheit als endgültig erledigt betrachten. Richtig großmütig wird der alte und womöglich bald auch neue Regierungschef: Das mit dem Dialogangebot an die künftige Opposition scheint er nämlich ernst zu meinen. Früher schon verglich er sich mit Gesetzesvater Moses; dem bald 72-Jährigen würde es durchaus gefallen, als Vater einer Verfassungsreform in die Geschichte einzugehen.

Ein anderer Silvio also als der, der 1994 in die Politik ging? Der nach den Worten eines Weggefährten diesen Schritt bloß tat, um seinen Konzern vor der Pleite, sich selbst vor den „roten Richtern“ zu retten? Wohl kaum: Auch für die neue Regierung bleibt TOP eins die „Justizreform“ – sprich: die endgültige Domestizierung jener Staatsanwälte, die allein ihn noch am endgültigen Aufstieg zum Großstaatsmann hindern könnten. MICHAEL BRAUN

ausland SEITE 9, meinung SEITE 11