: Neues von der Bild-Ton-Schere
Die Rolling Stones, Patti Smith und Heavy Metal in Bagdad. Musikfilme bilden einen Berlinale-Schwerpunkt
Es ist hinreichend bekannt, dass Musik und Film sich nicht immer zu wirklich guten Liaisons zusammenschließen – zwischen allzu psychologisierenden Biopics, langweiligen Konzertmitschnitten und von Fantum verschlierten Dokumentationen bleibt oft nicht viel. Aber wenn Berlinale-Leiter Dieter Kosslick sagt: „Die Leute wollen wieder Emotionen. Und Musik ist Emotion“, dann meint er nicht: Die Leute wollen gute Musikfilme. Sondern: Die Leute wollen Promis. Und die kriegt er mit dem diesjährigen Musikschwerpunkt.
So werden wohl die Rolling Stones heute Abend tatsächlich zu Scorseses Eröffnungsfilm über den roten Teppich marschieren. Dann kommt Madonna und zeigt ihre erste Regiearbeit. Neil Young hat sich angekündigt, zusammen mit seiner Tournee-Doku „CSNY Déjà Vu“. Außerdem da: uralte argentinische Tangogrößen, afrikanische Hiphopper, die Berliner Philharmoniker und vielleicht Damon Albarn.
Ganz sicher kommt Patti Smith, die mittlerweile 61-jährige Punkpionierin und Rockpoetin, und begleitet die Premiere von „Dream of Life“ (Panorama), einem Biopic über sie selbst. Das paradigmatisch in die Hose gegangen ist: Filmemacher Steven Sebring versucht, Smiths Bedeutsamkeit ins Gottgleiche zu steigern, indem er über alles, was sie selbst eigentlich recht nüchtern und anschaulich erzählt, kommentierende, wohl Poesie und magischen Tiefgang erzeugen sollende Bilder legt. Ruft Patti Smith bei einer Kundgebung Worte gegen George Bush ins Mikro, blendet der Regisseur betulich Dinge aus ihrer Wohnung ein: eine Peace-Fahne, ein Glas voller Pinsel, ein Foto von Ghandi. Redet sich Patti Smith bei einer Spoken-Word-Performance zu Tränen, fallen Sebring dazu Bilder von ihr an einem Grab und Bilder von buddhistischen Mönchen für den Zwischenschnitt ein. So wird aus Patti Smith, der Feministin, Künstlerin und nimmermüden Protestlerin, eine verstrahlte Tante, die zu gut ist für die böse Welt.
Viel zurückhaltender und deshalb liebevoller ist „Wild Combination: A Portrait of Arthur Russell“ (Panorama). Filmemacher Matt Wolf lässt über viele Interviews ein differenziertes und vor allem fragendes Bild des 1992 an Aids gestorbenen Folksängers, Avantgarde-Komponisten und Disco-Produzenten entstehen – nämlich das eines obsessiven Menschen, der sehr merkwürdig war und deshalb auch für einen Film unfassbar bleibt. Wolf zumindest spart es sich, Verständnislücken mit zu viel Bild zuzukleistern, und lässt Russells Gesang viel Platz.
Sehr zu empfehlen ist die Dokumentation „Heavy Metal in Baghdad“ (Panorama). Sie verfolgt das Schicksal der (einzigen) Bagdader Heavy-Metal-Band Acrassicauda seit dem Beginn des Irakkriegs 2003. Sie zeigt, wie eine winzige Subkultur langsam an der in kollektive Psychose fallenden Stadt zerbricht. Dreimal reisen die US-amerikanischen Filmemacher nach Bagdad, um die fünf Mitglieder der Band zu besuchen. Erst ist es für sie noch ein rambomutiger Trip – mit schusssicheren Westen und Sonnenbrillen wird sich inszeniert, später werden die Besuche zur besorgten Herzensangelegenheit. 2003 erzählen die Jungs in ihren Metallica- und Slayer-Shirts noch belustigt, wie unter Saddam niemand headbangen durfte – die Bewegung war dem Regime zu nah dran an jüdischen Betenden. Aber immerhin habe es Auftrittsmöglichkeiten gegeben, jetzt schlichen sie mit Pistolen bewaffnet in ihren Proberaum. Anfang 2005 organisieren die Filmemacher ein Hochsicherheitskonzert, und 20 irakische Metalfans pogen durch eine plüschige Hotellobby, während draußen eine Autobombe explodiert. Mitte 2005 ist alles schlimmer. Der Proberaum ist zerstört, die noch nicht geflohenen Bandmitglieder haben sich seit sechs Monaten nicht mehr gesehen – niemand traut sich mehr auf die Straße. Dem Gitarristen zuckt nervös das Augenlid, der Bassist ist sehr bleich. „Wer kann jeden Tag mit dem Tod leben?“, fragen sie und halten das Cover einer Iron-Maiden-LP in die Kamera, ein Flammeninferno: „That’s how it looks here.“ Sie werden fliehen und ihre Instrumente verkaufen, um in Damaskus die Miete zahlen zu können, der Film braucht eine Fortsetzung. Bis hierhin aber ist „Heavy Metal in Baghdad“ ein eindrücklicher Film über den Horror der Unfreiheit und die traurige Perspektivlosigkeit junger Irakis.
KIRSTEN RIESSELMANN