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Archiv-Artikel

„Zwei Drittel der USA an den Urnen“

Die US-Amerikaner interessieren sich wieder für Politik, weil die wichtigen Kandidaten eine Abkehr von der Ära Bush versprechen. Das erklärt der Politikanalyst John Hulsman

JOHN HULSMAN ist Politologe, Historiker und Experte für die Internationalen Beziehungen der Vereinigten Staaten. Er war Senior Fellow bei der konservativen Heritage Foundation und ist derzeit Gast der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, um europäische Zukunftsfragen zu erforschen.

taz: Herr Hulsman, stimmt der Eindruck, dass sich diesmal viel mehr US-Amerikaner für die Vorwahlen interessieren?

John Hulsman: Ganz sicher. Wenn Sie die drei wichtigsten Kandidaten zusammennehmen, dann haben Sie zwei Drittel des Landes an den Urnen – verzweifelt bestrebt, die Geschicke des Landes herumzureißen. Barack Obama ist etwas völlig Neues, eine Figur, die wirklich für Veränderung steht. Hillary Clinton ist ein Symbol für die Vergangenheit der Clinton-Ära – was aber dennoch eine Veränderung gegenüber der Bush-Ära bedeutet. John McCain war in der Republikanischen Partei immer ein Einzelgänger. Niemand kann ihn so richtig leiden, weil er sich dem Trend widersetzt.

Es gibt also eine echte Chance für eine ganze neue politische Debatte nach Präsident Bush?

Ganz klar, ja. In den letzten acht Jahren haben wir Haushaltsüberschüsse in Defizite verwandelt, das gewachsene Vertrauen der Welt in unsere Außenpolitik verspielt. Die Leute mögen so etwas nicht.

Wie kann man die Ergebnisse des Super Tuesday verstehen?

Die Republikaner finden – wieder einmal – relativ schnell einen Kandidaten, während die Demokraten das noch ein wenig länger auskämpfen werden. Vor fünf Wochen sahen die Republikaner noch völlig chaotisch aus – heute hat John McCain die Nominierung praktisch gewonnen.

Weil er ein starker Kandidat ist?

Nein, sein Vorteil ist nicht, dass er einen so tollen Wahlkampf geführt hätte, sondern die Tatsache, dass Mike Huckabee die Konservativen gespalten hat. Huckabee hat im Süden hervorragend abgeschnitten und Mitt Romneys Strategie, die Konservativen gegen McCain zu einen, zunichtegemacht. Für die Republikaner ist das natürlich ein Glücksfall, wenn derjenige gewinnt, der noch am ehesten auch moderate Demokraten anlocken kann. McCain hat in allen wichtigen Fragen einiges an Erfahrung aufzubieten. Er hat am ehesten die Chance, auch tatsächlich gewählt zu werden.

Und bei den Demokraten?

Hillary Clinton liegt in Führung, aber Barack Obama hat sehr, sehr gut abgeschnitten. Er hat Connecticut gewonnen, einen Staat, den Clinton eigentlich sicher glaubte. Er hat wieder gezeigt, dass er in Red States gewinnen kann, also in traditionell republikanisch wählenden Staaten. In North Dakota hat er kürzlich eine Menschenmenge von 14.000 Leuten mobilisieren können – bei minus 28 Grad. Clinton führt, aber der Wahlkampf geht weiter. Das kann noch lange dauern.

Sie sagen, dass McCain am ehesten die Stimmen von Unabhängigen und moderaten Republikanern gewinnen kann. Heißt das, dass die unter Bush tonangebenden Ultrakonservativen nun keine Rolle mehr spielen werden?

Ich wünschte, das wäre so … In Wirklichkeit aber werden sie weiter eine Rolle spielen. Gerade bei der Außen- und Sicherheitspolitik werden die Neokonservativen um Bill Kristol immer noch da sein. Der Unterschied ist, dass die Tür für realpolitische Denker offener sein wird, was die Außenpolitik angeht. Innenpolitisch sind die Republikaner in einer schwierigeren Lage.

Warum?

Da Huckabee die konservativen Stimmen hat spalten können, steht er heute als der natürliche Vizepräsidentschaftskandidat da. McCain muss versuchen, den ultrakonservativen Evangelikalen etwas anzubieten, sonst werden sie ihn einfach nicht wählen. Wenn er Huckabee als Vizepräsidentschaftskandidaten aussucht, muss der im Süden den Wahlkampf führen.

Die Demokraten, so heißt es, könnten Geschichte schreiben, indem sie entweder die erste Frau oder den ersten Schwarzen nominieren. Wird das in einem Wahlkampf gegen den Republikaner McCain eine große Rolle spielen?

Glorioserweise nein. Das Land ist viel weiter als die Leute so denken, besonders außerhalb der USA. Ich war kürzlich in Virginia, der Wiege der Konföderierten. Die Zahl der gemischten Ehen mit Kindern ist exponentiell in die Höhe geschnellt. Die alten Linien der Segregation kann ich schlicht nicht mehr erkennen. Es scheint sich niemand darum zu kümmern, ob jemand nun schwarz oder eine Frau ist. Nach den zweifelhaften Schlagzeilen, die Amerika in den vergangenen acht Jahren produziert hat, ist das eine ziemlich tolle Nachricht.

INTERVIEW: BERND PICKERT