: „Wie im Wilden Westen“
Schauspieler Hans-Werner Meyer vom Bundesverband der Film- und Fernsehschauspieler über das Recht des Stärkeren in der Branche – und Fernsehmacher, die an ein Ersatz-Christkind glauben: Quote
HANS-WERNER MEYER, 43, hier 2007 am Set des Sat.1-Films „Das Ende der DDR“, ist Schauspieler. Er ist Vorstandsmitglied des 2006 gegründeten Bundesverbands der Film- und Fernsehschauspieler. Zuletzt war er unter anderem in „Contergan – Eine einzige Tablette“ zu sehen. Der Film wurde soeben als Bester Deutscher Fernsehfilm mit der Goldenen Kamera ausgezeichnet.
INTERVIEW STEFFEN GRIMBERG
taz: Herr Meyer, Sie haben Ihren arbeitslosen Schauspielerkollegen geraten, lieber eine Bank zu überfallen, als Hartz IV zu beantragen. Warum?
Hans-Werner Meyer: Das wäre auf jeden Fall weniger kompliziert und nur unwesentlich gefährlicher. Nein, im Ernst: Wenn ein Schauspieler gezwungen ist, von Hartz IV zu leben, hat er ein Problem. Jeder hat ein Problem, wenn er von Hartz IV leben muss. Aber ein Schauspieler, der etwa einen Ein-Euro-Job machen muss, wird unter Umständen nicht aus diesem herausgelassen, wenn ihm eine Ein- oder Zweitagesrolle angeboten wird. Er kann sie nicht annehmen, weil es sich um eine „befristete Beschäftigung“ handelt. Es gibt in unserer Branche aber nur befristete Beschäftigungen.
Sie sind im Vorstand des Bundesverbands der Film- und Fernsehschauspieler (BFFS). Ist das Bewusstsein für die eigene Interessenvertretung in einem so bunten Haufen vorhanden?
Wir haben jetzt über 770 Mitglieder, da hat sich in den letzten Jahren definitiv etwas bewegt.
Bei rund 15.000 Schauspielern in Deutschland müsste der BFFS aber doch mehr Mitglieder haben. Ist der Leidensdruck vielleicht doch nicht so groß?
Menschen sind nun mal träge, aber es gibt uns seit knapp zwei Jahren, und wir sind schon der größte Verband in der Filmindustrie. Die Screen Actors Guild (US-Schauspielergewerkschaft; d. Red.) gibt’s seit über 80 Jahren.
Deutschland ist allerdings nicht die USA.
Genau. Aber anders als man denken würde. Was die Filmbranche betrifft, leben wir hier im Wilden Westen. In den USA ist alles geregelt, jede Überstunde, jede Zuständigkeit, Folgehonorare, alles. Im überregulierten Deutschland dagegen herrscht in der Filmbranche das Recht des Stärkeren. Verbindliche Regeln zu schaffen, erfordert Zeit und Fantasie – und die haben wir bisher lieber in unsere Arbeit investiert.
Dem Streik der Drehbuchautoren in den USA fiel sogar die Verleihung der „Golden Globes“ zum Opfer. Warum streiken deutsche Schauspieler nicht?
Ein Streik ergäbe nur dann Sinn, wenn es eine Quote für deutsche Produktionen gäbe, wie in Frankreich, und wenn es statt der Verbände Gewerkschaften gäbe wie in den USA, in denen alle Beschäftigten organisiert sind. In den meisten Ländern mit einer halbwegs funktionierenden Filmindustrie gibt es mehr Regeln und Transparenz als hier. Wir werden um einen Professionalisierungsschub nicht herumkommen. Denn auch wir arbeiten immer internationaler.
Und werden schlechter bezahlt?
Die Gagen im deutschen Fernsehen waren bislang im internationalen Vergleich eher hoch. Zumindest auf den ersten Blick, denn es gibt kaum noch Wiederholungshonorare und so gut wie keine Folgevergütungen. Es gibt regelrechte Dumpingangebote, und viele sind leider gezwungen, sie anzunehmen.
Gibt es einen Unterschied zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern?
Was die Öffentlich-Rechtlichen betrifft: Da ist das Geld da, aber es wird intern falsch ausgegeben, für Sportrechte, für Comedy, für einen enormen Verwaltungswasserkopf. Im Fiction-Bereich wird immer mehr gespart. Dazu setzen sich ARD und ZDF einem Quotendruck aus, der für sie eigentlich gar nicht gilt. Die sägen am Ast, auf dem sie sitzen.
Und die Privaten?
Die stehen natürlich unter Quotendruck. Aber um Erfolg mit Eigenproduktionen zu haben, braucht man einen langen Atem. „Dr. House“ war anfangs ein Misserfolg, „Ally McBeal“ auch. Eine Qualitätsserie wie „Die Anwälte“ mit Kai Wiesinger bei RTL nach nur einer Folge abzusetzen, weil die Quote nicht stimmt, zeugt von bemerkenswerter Kurzsicht. Die Quote ist eine Ersatzreligion geworden. Ich verstehe nicht, warum erwachsene Menschen daran glauben wie Kinder ans Christkind und in Duldungsstarre verfallen.
Nach wie vor wird hartnäckig an der Trennung von Kino und Fernsehen festgehalten. Ändert sich für Schauspieler die Situation, wenn sie erst einmal im Kino zu sehen sind?
Ich halte die Trennung von Kino und Fernsehen für nicht zeitgemäß, das ist doch Kastendenken. Ich habe die saftigsten Rollen vom Fernsehen bekommen – man spielt da häufig bessere Sachen als im Kino. Trotzdem hat ein Schauspieler, der Kinofilme macht, in der Öffentlichkeit mehr Glanz. Das ist der Nimbus, von dem das Kino lebt – obwohl es in Deutschland in Wirklichkeit umgekehrt ist: Ohne das Fernsehen, das die Filme finanziert, gäbe es keine deutsche Kinoproduktion mehr. Von der Qualität her gibt es sowieso kaum Unterschiede, aber natürlich in der Ästhetik. Doch das Meiste an der Trennung zwischen glamourösem Kino und dem Fernsehen mit seinen unbestritten existierenden Schmuddelecken ist pure Geschäftsstrategie.
Worum geht es dem BFFS noch?
Es geht uns zuerst um Qualität. Das war ein Grund für die Verbandsgründung. Schauspielerei ist ein wertvoller Beruf, wir geben unserer Kultur ein Gesicht. Aber die Achtung vor dem Berufsstand müssen wir erst mal selbst aufbringen. Das geht nur, wenn wir unsere Angelegenheiten endlich selbst in die Hand nehmen.