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Archiv-Artikel

Entspannt ins Familienleben

Schlaflose Nächte und Tage voller Fragen setzen Eltern mit einem Baby zu. In Kursen lernen sie, den neuen Alltag zu meistern

VON JUTTA SCHULKE

Ein Kind kommt auf die Welt –und mit ihm tausend Fragen. Eine lautet, warum es sich mitunter schwer beruhigen lässt. Pia Oley-Meulen, Hebamme im Geburtshaus Berlin-Charlottenburg weiß eine Antwort: „Wenn die Mutter oder der Vater das schreiende Kind auf der Herzseite tragen und der Puls sich bei ihnen durch die Stresssituation erhöht, dann bekommt das Kind es mit“, erklärt sie. „Dies kann als Verstärker wirken, noch mehr zu schreien, anstatt sich zu beruhigen.“ Solche Dinge erfahren werdende Eltern in einem Wochenendkurs des Geburtshauses, in dem es um das Leben mit dem Neugeborenen geht. Dabei lernen sie klassische Dinge wie die Pflege des Kindes, aber vor allem das Baby und seine Sprache zu verstehen.

„Viele Eltern merken im Geburtsvorbereitungskurs, dass es damit nicht getan ist“, sagt Oley-Meulen. Ihre Unsicherheit führt sie in den Babykurs. Lucia Gacinski von der Berliner Beratungsstelle Familienzelt beobachtet, dass Mütter und Väter oft auch beim zweiten Kind Hilfe suchen. „Die gehen dann aber eher zu unserer Psychologin“, sagt sie.

Wem ein Wochenende nicht genügt, kann sich bei der Techniker Krankenkasse (TK) in den Kurs „Stressfrei ins Familienglück“ begeben. Laut TK lernen dort bis zu zwölf Paare an sieben Abenden unter anderem, das Elternwerden stressarm zu meistern, es genießen zu können, die Partnerschaft zu verbessern und mindestens sechs Monate zu stillen.

Der Kurs wurde 2004 in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg als Forschungsprojekt zur „Stillförderung durch Stressprävention“ entwickelt. Die Krankenkasse bietet ihn deutschlandweit in 29 Städten an, Teilnehmer müssen nicht bei der TK versichert sein. Bisher habe dieser Kurs rund 70-mal stattgefunden, berichtet Inga Lund, Mitarbeiterin der TK-Pressestelle. Konkrete Zahlen zum Erfolg des Projekts gebe es aber bisher nicht, da es sich noch in der Pilotphase befände.

Während Neumama und Neupapa versuchen, nach der Geburt alles richtig zu machen – richtig stillen, richtig genießen, richtig Partner und richtig Eltern sein … – neigen sich in der Realität die wenigen Urlaubstage des berufstätigen Elternteils oft schnell dem Ende zu, während der andere Teil sich innerlich vielleicht die gute alte Großfamilie zurückwünscht. „Der Zusammenhalt und die Akzeptanz tradierter Werte und Meinungen waren in früheren Generationen größer“, begründet Petra Grieben, Familienbegleitern der Gesellschaft für Geburtsvorbereitung (GfG) im Landesverband Berlin/Brandenburg, die steigende Nachfrage nach Unterstützung in Fragen rund um das Leben mit einem Kind.

Tatsächlich hat es in Deutschland Seltenheitswert, dass mehrere Generationen unter einem Dach leben: Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes wohnten 2006 in nur 1 Prozent der knapp 40 Millionen deutschen Haushalte Eltern mit Kindern, deren Großeltern sowie in seltenen Fällen deren Urgroßeltern zusammen. In Zeiten zunehmender Isolation sei die Notwendigkeit außerfamilärer Hilfen entstanden, mutmaßt Grieben. Eltern bräuchten eine Person ihres Vertrauens, zum Beispiel einen Kinderarzt, eine Hebamme oder eine Kursfrau, der sie sich in Stresssituationen anvertrauen könnten.

„Aufgrund fehlender Erziehungskompetenz, die den jungen Eltern selbst niemals zuteil wurde, und wegen sozialer Unsicherheit stoßen Eltern schnell an die Grenzen ihrer Belastbarkeit und verfügen selten über Entlastungsstrategien“, erläutert die Familienbegleiterin. Sie betreut pro Jahr etwa 50 Familien – vom letzten Schwangerschaftsdrittel bis mindestens zum Ende des ersten Lebensjahrs des Kindes. Dabei bereitet sie die Mütter und Väter auf die Zeit nach der Geburt vor, erklärt ihnen, wie sie Paar bleiben und Eltern werden können, und berät sie zum Stillen, zu Werten in der Erziehung und vielem mehr.

Gegenüber Angeboten, die schon vor der Geburt stattfinden, ist Gacinski von Familienzelt allerdings skeptisch: „Unsere Erfahrung ist, dass kein Mensch das präventiv machen will. Jeder geht erst mal davon aus, dass er das alles ganz prächtig schafft.“ Sie beobachtet: Erst nach der Geburt spüren Eltern, dass sie Bedarf haben.