: Samstagsschule, die Lösung gegen Stress?
Ja, sagt der Bremer Benno Schirrmeister, denn dann ist das restliche Wochenende entspannt und hausaufgabenfrei. Nein, sagt Hamburgerin Kaija Kutter, Familien brauchen das Wochenende für sich. Hausaufgaben würde es trotz Samstagsschule geben, denn sie gehören an Gymnasien zum System
PRO
Am Samstag um 6 Uhr hat mein Wecker geklingelt. Wie jeden Morgen. Ich habe kurz geflucht. Mich aus dem Bett gehievt. Frühstück gemacht. Und um 6.15 Uhr: Die Jungs geweckt. Wie jeden Morgen: Schließlich war Schulsamstag. Schlimm? Von wegen.
Zugegeben: Dass an unserer Schule jeden zweiten Sonnabend Unterricht ist, hatten wir bei der Anmeldung nicht gewusst. Wir hätten es – so rein emotional – wahrscheinlich auch abgelehnt. Man lernt das aber schätzen. Weil die Jungs nicht so viele – vom pädagogischen Ertrag her fragwürdige – ultraharte Tage in der Woche haben, wie die von den anderen Schulen. Vielleicht auch, weil – sagt die Schlafforschung – der feste Rhythmus viel gesünder ist als das beliebte Samstags-lange-im-Bett-Wälzen. Vor allem aber weil – wir haben ja den Vergleich – die Schulsamstage für Kinder und Eltern wesentlich entspannter sind, als die unterrichtsfreien.
Warum? Nun, bei Musterfamilien besorgt Mutti sicher täglich Nachschub. Bei uns ist Samstag der Kühlschrank leer. Einer muss also einkaufen. Lebensmittel. Katzenfutter. Und Haushaltszubehör. Kinder, die da total gerne mitmachen, sind vorstellbar. Aber existieren sie auch?
Also bleiben die Jungs zu Hause. Dort könnten sie Hausaufgaben machen. Zu Wochenenden ohne Schule werden nämlich Berge von Aufgaben verordnet. Wir haben uns erkundigt: Das ist nicht nur bei uns so. Das scheint ein Merksatz der Lehrerausbildung zu sein: Übers Wochenende viel aufgeben. Mindestens dreifache Dosis. Weil Freitag bis Montag ja drei Tage sind.
Es gibt sicher Musterschüler, die sich da Freitag sofort nach Schulschluss dransetzen, statt sich zu sagen: Mach ich später. Hab ich ja drei Tage für Zeit. Jetzt erst mal: Entspannen. Oder: Saxofon spielen. Oder: Schach mit Brüderchen. Oder ’n Buch lesen. Menschmachdochma!, müsste man jetzt dazwischen fahren. Aber es gibt ja wirklich unendlich viele attraktivere und – die Erziehungswissenschaftler der TU Dresden haben es gerade bewiesen – unendlich sinnvollere Beschäftigungen als Hausaufgaben. Und weil sich daran am Samstagvormittag nichts geändert hat und danach irgendwie Programm war, der eigene Fußballverein gespielt hat oder die Schach-Revanche anstand oder Bundesliga im Radio lief… Klar rumort im Hinterkopf immer ein schlechtes Gewissen mit: Gedenke deiner Schulaufgaben… Naja. Meistens ist Sonntag Hausaufgabentag. Mensch, hab ich euch doch gesagt, dass ihr das Samstagfrüh hättet erledigen sollen! Gnagnagna. Elternstress. Kinderstress. Gut, dass es sonntags so oft regnet.
Die Schulsamstag-Wochenenden sind hausaufgabenfrei. Ab Donnerstag werden nur noch kleinere, ab Freitag gar keine vergeben. Dafür gibt es Samstag qualifizierten Unterricht. Wenn die Kinder heimkommen, ist fertig eingekauft und gekocht. Es sei denn, sie radeln gleich zum Fußball. Kein schwelender Konflikt: Der Nachmittag und der ganze Sonntag sind blank wie ein blauer Nordseehimmel. Ausflug, Kino, Theater, Halma, Musik: Alles geht. Und erst Montag muss dann wieder an Schule gedacht werden.
BENNO SCHIRRMEISTER
CONTRA
Die Samstagsschule soll ein Segen sein, weil sie ein hausaufgabenfreies Restwochende einbringt? Wer den Hamburger Alltag an Gymnasien kennt, kann das nicht glauben. Denn besagte „Hausaufgabenfreiheit“ wurde schon für die Tage mit Nachmittagsunterricht versprochen und nicht gewährleistet. Nicht mal in den fünften und sechsten Klassen sind die Lehrer in der Lage, sich an dem einen „langen Tag“, den die zehnjährigen Kinder schon haben, an dieses Versprechen zu halten.
Denn Hausaufgaben sind systembedingt. Egal, ob Mathe, Geografie, Englisch oder Deutsch – die Lehrer sehen nur ihr Fach, in dem die Behörde regelmäßig durch Tests kontrolliert, wo sie stehen. Und in Klassen mit 28 bis 32 Schülern läuft der Unterricht eben traditionell frontal ab. Da kann der Lehrer sich nicht vergewissern, dass jeder Einzelne alles begriffen und verinnerlicht hat. Zum Beispiel, wenn er schon in Klasse fünf alle Grammatikbegriffe auf Lateinisch lehrt. Deshalb gibt er Aufgaben für zu Hause auf, wo das Kind mit Hilfe von Eltern oder Nachhelfern Verständnislücken füllen kann.
So funktioniert Gymnasium wie eh und je, auch wenn es himmelschreiend ungerecht ist, weil nicht alle diese häusliche Hilfe haben. Aber um die herauszufiltern, gibt es ja die Abschulung nach Klasse sechs oder später.
Beispiel Französisch: Früher gab es die zweite Sprache erst ab Klasse sieben, jetzt ab Klasse sechs. Aber eine Garantie dafür, dass die jüngeren Schüler das ebenso gut schaffen wie ihre älteren Vorgänger, geben die Schulzeitverkürzer nicht. Scheitert ein Kind hier, hat nicht die Abi-Reform versagt, sondern der Schüler. So wird ein starker Druck auf die Eltern erzeugt und die Bereitschaft, unentgeltlich und bis zur Erschöpfung den Hilfslehrer zu spielen.
Ein Samstagsunterricht in diesem Schulsystem hieße nur, dieses Elend um einen Tag zu verlängern. Es sei denn, es gäbe äußerst kleine Klassen, ganz andere Unterrichtsformen und ein Klassenarbeitsverbot für alle Montage.
Der Samstagsunterricht ist keine Lösung für die Zeitprobleme, die das Turbo-Abitur einbringt. Kinder und Eltern brauchen diese zwei freien Tage als Pause vom Alltagsstress, um Kraft zu tanken. Und leere Kühlschränke lassen sich auch anders füllen, als dass man seine Kids erneut zur Schule schickt, zumal die Läden lange geöffnet haben. Die Frage ist eher, ob es richtig war, nach dem PISA-Schock auf Druck der Wirtschaft die Schule zu verkürzen.
Entweder, es gelingt den Bildungsministerien jetzt schnell, die Lehrpläne zu entrümpeln und die Kinder zu entlasten. Oder es müsste ein Schritt zurück zu mehr Lernzeit gemacht werden. Schließlich wurde ja mit dem Bachelor-System bereits das Studium verkürzt. Das allein bewirkt schon, das Akademiker früher arbeiten. Und es gibt die Rente erst mit 67. Wer früh in den Beruf einsteigt, muss länger durchhalten als früher.
Deshalb brauchen wir eine Schule, die Kindern Zeit lässt für Hobbys und Träumereien und vielleicht sogar politisches Engagement in Schülervertretung oder Umweltgruppe. Das wäre auch gut für die Demokratie. KAIJA KUTTER