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Archiv-Artikel

die taz vor acht jahren über mythen für die mittelschicht

Rund um die Finanzmärkte entwickelt sich mit dem DAX-Fieber und den Anlegertipps eine neue Populärkultur des Geldes. Sie handelt vom alten Traum, dass Reichtum auch ohne Arbeit möglich ist – und zwar für eine Mehrheit. „Millionär“: Sogar dieser Titel scheint jetzt für Normalverdiener erschwinglich. Wer in den vergangenen 25 Jahren monatlich 420 Mark richtig angelegt hat, besitze jetzt ein siebenstelliges Vermögen, so wirbt die Fondsmanagerin Elisabeth Weisenhorn. Ihr alle dürft mitspielen im Globalkapitalismus! Das ist der neue Mythos.

Neu ist diese Verheißung nicht: Schon vor 300 Jahren, als Kaufleute, Handwerker und adelige Frauen mit Aktien zur Tulpenzucht, Landerschließung und Schatzsuche spekulierten, habe dies „die Grundsätze des Kapitalismus wie Ehrlichkeit, Sparsamkeit und Plackerei auf den Kopf gestellt“, schildert der US-amerikanische Finanzhistoriker Edward Chancellor. Einzelne Spekulanten trugen hohe Gewinne heim. Die Mehrheit hatte allerdings nichts davon – damals wie heute. Wohlstand für alle bleibt ein Traum.

Die Entzauberung muss schon bei der geläufigen Bebilderung des Börsenfiebers beginnen: Denn obwohl die Finanzgazetten ununterbrochen mit neuen Tipps aufwarten, wird kein Kleinanleger seine Depots ständig umschichten. Im Gegenteil, Aktienkäufe lohnen sich für Kleinanleger vor allem dann, wenn sie ihre Depots mittelfristig unangetastet lassen.

Die Mehrheit in Deutschland hat nichts vom Boom auf den Aktienmärkten. Doch das ist nur ein Aspekt der neuen Popkultur des Geldes. Ein anderer Aspekt ist vielleicht noch wichtiger: Während die Finanztipps boomen, wird die Frage nach tatsächlicher Macht und Ohnmacht auf dem Geldmarkt kaum noch gestellt.

Barbara Dribbusch, 11. 2. 2000