: Wieder zu Hause im schwarzen Konvent
Megadeth waren neben Metallica, Slayer und Anthrax eine der ganz großen, superschnellen Thrasher-Bands der Achtziger, heute sind sie ein lebendes Denkmal der Szene. Mit einer neuen Platte im Rücken, die an alte Zeiten anknüpft, spielten sie im Huxley’s – und die alte Gemeinde kam
Wer die Filmdokumentation „Some Kind Of Monster“ gesehen hat, in der geschildert wird, wie die Metalband Metallica unter psychotherapeutischer Betreuung ihr Album zusammenzimmert, der vergisst diese eine Szene nie, in der beinahe Tränen flossen. Dave Mustaine, der noch vor der Veröffentlichung des allerersten Metallica-Albums aus der Band geworfen wurde, weil er zu viel trank und auch sonst nicht so umgänglich gewesen sein soll, durfte sich vor der Kamera mit seinen ehemaligen Freunden aussprechen.
Es kam heraus, dass er, der mit seiner eigenen Band Megadeth bis heute selbst traumhaft viele Platten verkauft hatte, den Bruch mit seinen ehemaligen Mitstreitern nie wirklich überwinden konnte. Zurückgesetzt fühlte er sich noch all die Jahre nach der Trennung im Unschönen, verraten und verkauft. Was an ihm nagen musste, war die Tatsache, dass er trotz seines Erfolgs mit der eigenen Band neben dem Tyrannosaurus Rex Metallica immer nur ein Pflanzen fressender Minisaurier sein konnte. Metallica wurden zu einer der größten Bands des Planeten, Megadeth blieben Genre-Größen. Dave Mustaine bestätigte in der Doku nochmal seinen Ruf, eher ein Feingeist und ein Sensibelchen im harten Metalgeschäft zu sein, der privat erklärtermaßen auf Soul und Marvin Gaye steht und als politisch interessierter Mensch gilt, obwohl er selbst mit seinen Mitmusikern auch nicht immer zimperlich umging. Pausenlos besetzte er seine Band in den letzten 25 Jahren neu und etablierte eine klare Hierarchie mit ihm selbst als unumstrittenem Sonnenkönig. So etwas wie mit Metallica, so scheint es, sollte ihm nie wieder passieren dürfen.
Nachdem es seit der zweiten Hälfte der Neunziger so gar nicht mehr laufen wollte und Megadeth zeitweilig sogar ganz aufgelöst waren, ist die Band seit ihrem neuen Album „United Abominations“ wieder ganz gut im Geschäft, in den USA ging die Platte sogar in die Top Ten. Wohl auch deswegen hatte man sich für die Deutschlandtournee mehr versprochen, denn kurzfristig musste das Berlin-Konzert der Band von der großen Columbiahalle in das weit kleinere „Huxley’s“ verlegt werden, das dann auch nur so einigermaßen gefüllt war, was nochmals unterstrich: Megadeth sind eben einfach nicht Metallica, für die zu jeder Zeit selbst die Wuhlheide zu klein wäre.
Dennoch ist es erstaunlich, dass eine Band wie Megadeth überhaupt noch ein so relativ großes Publikum zu ziehen vermag. Thrash-Metal, den Megadeth Mitte der Achtziger entscheidend mit groß gemacht hatten, ist ja längst ein nur mehr klassisches Metal-Subgenre, das in den Hochzeiten von Death- und Blackmetal als Opimusik galt, als so aufregend wie „Sissi“ für Splatterfilm-Fans. Was einmal als unerhört aggressiv, brutal und komplex galt, wurde durch darauf folgende Entwicklungen ins immer Absurdere und Durchgedrehtere, wie etwa Grindcore, geradezu der Lächerlichkeit preisgegeben. Doch das waren alles nur kurzzeitige Effekte. Heute berufen sich all die jungen Hochgeschwindigkeitsbands wieder auf die Pioniertaten der sogenannten Bay-Area-Szene, zu der Megadeth gehörten. Und anders als in vielen anderen Popspielarten wie Dancehall, aber zunehmend auch im HipHop, werden die Könige von einst im Metal nicht gefühllos durch neue Thronbesteiger ersetzt, sondern es wird eifrig Denkmalpflege betrieben. Beim diesjährigen Wacken-Festival wird selbstredend die Uralt-Band Iron Maiden Headliner sein, und dank geschickter Etablierung einer bestimmten Ikonografie durch Plattencover und Merchandising weiß heute noch jeder Metalhead, wie das Maskottchen von Megadeth, das lebendige Skelett Vic Rattlehead, aussieht. Im gefühlt zu hundert Prozent und faktisch aus ungefähr neunzig Prozent Männern bestehenden Publikum konnten bei Megadeth jede Menge Kuttenträger gesehen werden, die ihr Geld in Sticker von Possessed oder eben Megadeth und Vic Rattlehead investiert hatten, unter dem Jeansschmuckstück aber auch gern mal ein Black-Dahlia-Murder-T-Shirt trugen.
Wenn man alleine den Zustand der deutschen HipHop-Szene bedenkt, in der jeder Gangsta-Rapper aus Berlin den anderen scheiße findet und den Studentenrapper aus Hamburg erst recht, wirkt es geradezu rührend, zu welcher Friedfertigkeit und zu welchem Respekt untereinander die Anhänger eines als so aggressiv verschrienen Genres wie Metal fähig sind – und zu welch gesittetem Umgang mit dem Alter. Sozialpolitiker sollten dieses Phänomen einmal in ihren Reden aufgreifen. Allerdings kann genau das auch zu einem zumindest kreativen Problem führen. Megadeth werden aktuell dafür gerühmt, dass sie wenigstens einigermaßen wieder denselben Stiefel durchziehen wie vor 20 Jahren, also nicht mehr so schlapp auf der Brust klingen wie noch vor gut zehn Jahren, als sie um jeden Preis ins Formatradio wollten. Das muss etwas mit den ewigen Werten des Metal zu tun haben und damit, dass der Verzicht auf die ewig gleichen Rituale wie Gitarrensolo-Abgreifen und dauerbreitbeiniges Posieren mit der Axt in der Hand eher Verrat an der Sache bedeuten würden. Megadeth bedienten die Klischee-Anforderungen, als würden sie für jedes effektvolle Haareschütteln extra bezahlt. Ein Song klang letztlich wie der andere, was nur echte Fans anders sehen werden, und Dave Mustaine befingerte seine obligatorische Flying-V-Gitarre in einer Geschwindigkeit, die vergessen machen sollte, dass der Mann sich bereits in seinen mittleren Vierzigern befindet. Wirklich etwas genutzt haben wird das freilich nicht: Dave Mustaine könnte als schnellster Finger ins „Guinness Buch der Rekorde“ aufgenommen werden, so berühmt wie seine Kollegen von Metallica wird er sein Lebtag nicht mehr werden.
ANDREAS HARTMANN