: Wer die Hälfte hat, bestimmt den Tarif
Es gibt 630.000 Zeitarbeiter, doch die Verbände streiten darüber, wie viele Beschäftigte sie erfasst haben
BERLIN taz ■ Bundesarbeitsminister Olaf Scholz weiß es schon genau: „Das hier sind die allermeisten.“ Die Mehrheit der deutschen Zeitarbeiter sei tätig auf der Basis des Tarifvertrags, den der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) mit den Arbeitgeberverbänden BZA und IGZ abgeschlossen habe. Und wer die Mehrheit auf seiner Seite hat, kann, so sagt es das Gesetz, den Maßstab für den allgemein gültigen Mindestlohn bestimmen.
Freut Scholz sich da nicht zu früh? Die Zahlen, mit denen die konkurrierenden Verbände operieren, sind nicht abgesichert. Eine offizielle, unabhängige Statistik über die Tarifverhältnisse in der Zeitarbeitsbranche existiert nicht. Die Bundesagentur für Arbeit weiß zwar, dass die Branche im Engeren etwa 630.000 Beschäftigte umfasst, kann aber keine Auskunft darüber geben, wie viele Arbeitnehmer mit welchem Tarifvertrag arbeiten.
Über Schätzungen verfügen nur die konkurrierenden Verbände, die ihre Zahlen an den eigenen Interessen ausrichten. Die beiden mit dem DGB verbündeten Arbeitgeberorganisationen BZA und IGZ haben nach eigenen Angaben rund 385.000 Beschäftigte, für die der Tarifvertrag gilt.
Im Vergleich zu den 630.000 Leuten, die laut Bundesagentur insgesamt in der Zeitarbeit arbeiten, wäre das mehr als die Hälfte. Der Verband BZA führt seit einiger Zeit zusammen mit dem Institut der deutschen Wirtschaft in Köln eine regelmäßige Befragung seiner Mitglieder durch. Darauf basieren seine Zahlen. BZA-Chef Volker Enkerts sagte am Montag aber: „Konkrete, empirische Untersuchungen gibt es nicht.“
Das sieht Thomas Hetz vom Konkurrenzverband AMP genauso. Weil aber die andere Seite den Anspruch erhebt, die Mehrheit der Beschäftigten zu vertreten, will er nicht zurückstehen: „Auch wir vertreten diesen Anspruch.“ Sein Verhandlungspartner Gunter Smits, der Chef des Christlichen Gewerkschaftsbundes, nennt Zahlen: Bis zu 400.000 Beschäftigte würden auf der Basis seines Tarifvertrages arbeiten, der niedrigere Löhne als der DGB-Vertrag vorsieht.
Auch das wäre die Mehrheit. Vermutlich hat nur eine Seite recht. Welche das ist, darüber wird nun gestritten werden.
HANNES KOCH