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Archiv-Artikel

Präzision und Zufall

Die Schönheit des Unfertigen feiert Manfred Pernice im Schinkel-Pavillon gleich doppelt: einmal mit dem Blick auf die Baustellen vor dem Fenster und einmal mit seiner Skulpturen-Verkstatt AVA

Pernice scheint sich an den historischen Überschreibungen des Ortes abzuarbeiten

VON JULIA GWENDOLYN SCHNEIDER

AVA steht in grünen Lettern auf dem gelben Luftballon geschrieben, der die Einladungskarte zur aktuellen Ausstellung des Berliner Bildhauers Manfred Pernice im Schinkel-Pavillon (hinter der Staatsoper) ziert. AVA tut so, als sei es das Logo einer registrierten Marke, bevor sich beim Umdrehen der Karte zeigt, dass sich das Kürzel auf „1. Allgemeine Verkstatt Ausstellung“ bezieht, wie Pernice seine Show betitelt hat.

Werkstatt mit V zu schreiben impliziert sicherlich auch das Verkaufen. Der Künstler stellt eine „Unternehmung“ vor, die im abstrakten Sinne durchaus auch mit Verkaufsmomenten einer Messe assoziiert werden kann, sich aber letztlich eher als Persiflage einer solchen entpuppt.

Lässt eine beleuchtete Glasvitrine für einen Moment noch Kostbarkeiten vermuten, werden beim Betreten des Pavillons keine sich anpreisenden Waren, sondern Spanplattenskulpturen, ein alter Holzschrank, kitschige Tassen, ein Motor, Putzmittel, Lappen und leere Getränkedosen sichtbar. Was sich hier so lässig im Raum verteilt, ist beim genaueren Hinsehen eine überaus durchdachte Kompilierung gesammelter Gebrauchsgegenstände, die ihr ursprüngliches Zuhause in Manfred Pernices Berliner Atelier hatten.

Je nach Vorkenntnis erschließt sich früher oder später, dass zum Beispiel die Tassen auf dem Leichtbausockel Produkte der ehemaligen DDR sind. Die surrealistische Künstlerin Meret Oppenheim hatte 1936 eine Tasse samt Löffel auf der Untertasse nahtlos mit Fell überzogen und so unter dem Titel „Frühstück im Pelz“ ein radikal verfremdetes Objekt entworfen.

Pernice dagegen arbeitet bei dem hier Gezeigten, inklusive der erwähnten Tassen, nicht die Verfremdung heraus, sondern will mit seinem „Antidesign“ vielleicht gerade auf unsere Entfremdung von Herstellungsbedingungen hinweisen, die wir in unserer tagtäglichen Warenwelt verdrängen. Alltagsgegenstände aus der DDR in die Ausstellung einfließen zu lassen macht aber auch insofern Sinn, als der Pavillon selbst erst 1969 im Garten des wiederaufgebauten Kronprinzenpalais im damaligen Ostberlin entstanden ist und nicht, wie der Name des Gebäudes vermuten ließe, aus einer sehr viel früheren Zeit stammt. Nur die im Vorraum eingelassenen Originalreliefs und eine Tür zum Souterrain aus Schinkels ehemaliger Bauakademie stellen die Verbindung zum Namengeber her.

Ähnlich versteckt wie die Bezüge des Pavillons zu Karl Friedrich Schinkel hat Pernice ein Buch über den klassizistischen Stararchitekten in seinem Holzschrank platziert. Er scheint sich selbst an den verschiedenen historischen Überschreibungen des Ortes abzuarbeiten und hat mit einem Betonmischer und einem Gitter, das an einer Mauer lehnt, sein vielschichtiges künstlerisches Konzept bis auf die Terrasse ausgedehnt.

Das ist stimmig, denn vor den Fenstern breitet sich ein Panorama der vergangenen und aktuellen Geschichte der einst geteilten Stadt mit all ihren Divergenzen aus: der Neubau der Bauakademie von Schinkel, der Abriss des Palastes der Republik, der Neubau der temporären Kunsthalle, das leer stehende Kronprinzenpalais, das Bertelsmanngebäude etc. Die städtische Umgebung des Schinkel-Pavillons ist nicht fertig, sondern ein ähnliches Werk des Werdens wie die Werkstattsituation der skulpturalen Bespielung im Innenraum des Pavillons. Es scheint sich bei ihr um eine erste allgemeine Ausführung zu handeln, als sei eine Fortsetzung geplant.

Die Ausstellung betont die Schönheit des Unfertigen. So fasziniert die Spanplattenskulptur, die als eine Art utopisches Modell fast in der Mitte des Raums thront, vor allem durch ihre betonte Nachlässigkeit. Hier wurde gesägt, gestrichen und geschraubt. Diese Spuren vergegenwärtigen die eigene Entstehungsgeschichte und fordern dazu auf, an der Bedeutungsproduktion aktiv teilzunehmen. Lässt man sich darauf ein, verrutscht die Wahrnehmung des ursprünglich schlampigen Provisoriums ganz unerwartet in eine präzise erarbeitete Zufälligkeit. Alle Arrangements sind bis ins Detail durchdacht und entwickeln ihre Schönheit gerade im Moment ihrer uneindeutigen Eindeutigkeit.

Mit dieser Ausstellung ist es dem im Mai 2007 gegründeten Ausstellungsraum nun tatsächlich gelungen, einen anspielungsreichen Bezug zur eigenen Lokalität herzustellen.

Schinkel-Pavillon, Oberwallstr. 1, „1. Allgemeine Verkstatt Ausstellung“ , Fr. bis So. 12–18 Uhr, bis 16. März 2008