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Archiv-Artikel

Kein Hausfriedensbruch

Egal, ob es sich um Baustellen oder Einkaufspassagen handelt: Polizisten wissen oft nicht genau, wie sie mit Streiksituationen umgehen sollen. Dabei ist juristisch klar, dass Streikrecht schwerer wiegt als Hausrecht. Die Polizei zeigt sich indes lernfähig

VON KAI VON APPEN

Streiks im Öffentlichen Dienst und Einzelhandel, Kfz-Handwerk sowie der Metallindustrie wird es in den nächsten Wochen zweifellos geben. Fest steht auch, dass sie bisweilen die Polizei auf den Plan rufen. Doch die ist sich oft darüber im Unklaren, wie sie darauf reagieren soll.

So hatte es beim Bauarbeiterstreik vorigen Jahres mehrfach polizeiliches Fehlverhalten gegeben. Unter anderem hatten Polizisten Vertretern der Gewerkschaft IG Bau den Zutritt zu Baustellen mit dem Hinweis auf das „Hausrecht“ des Bauherrn verwehrt. Ein Problem, das auch bei Streiks im Einzelhandel auftritt. Etwa dann, wenn die Ausgänge eines Supermarktes in eine Einkaufspassage münden und sich streikende VerkäuferInnen dort versammeln. Dann versuchen oft Security-Leute – manchmal gemeinsam mit der Polizei – die Streikenden unter Verweis auf „Hausfriedensbruch“ vor die Tür zu setzen.

Vorfälle, die immer wieder auftreten, obwohl die Rechtsabteilung der Hamburger Polizei 1999 klargestellt hat, dass Streikrecht über dem Hausrecht steht. Im Baugewerbe kommt noch ein gravierender Aspekt hinzu: Dort dürfen laut Tarifvertrag Gewerkschaftsvertreter zwecks Mitgliederwerbung jederzeit eine Baustelle betreten – auch während eines Streiks.

Im Baukonflikt vorigen Jahres hatten zudem einige Polizisten die Baustellen-Zufahrten für Streikende gesperrt. Das Bilden von Streikposten ist jedoch eines der elementarsten Arbeitskampfmittel, um Arbeitswillige für den Streik zu gewinnen. Zur Unterstützung können auch psychische Barrieren wie Trillerpfeifen eingesetzt oder – laut Bundesarbeitsgericht – „raue und drastische Worte“ gesprochen werden. Dabei müssen die Arbeitswilligen sogar minutenlange physische Behinderungen durch Streikposten hinnehmen – etwa, wenn Arbeitswillige in Gespräche verwickelt oder Leiharbeiter über das Leistungsverweigerungsrecht informiert werden sollen.

Beim Bauarbeiterstreik 2007 wandte die Polizei zudem eine neue Taktik an: Immer dann, wenn sich Streikende vor einer Baustelle versammelt hatten, werteten die Polizisten daraus einen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz, da es sich um eine „nicht-angemeldete Demonstration“ handele.

„Diese Verfahren sind allesamt eingestellt worden“, berichtet Anwältin Ulrike Donat. Doch die Versammlungsrechtsexpertin ist von der IG Bau beauftragt worden, für die Zukunft eine Expertise bezüglich der Zulässigkeit von Streikaktionen vor Baustellen zu erarbeiten. Zudem erwägt die IG Bau, vom Verwaltungsgericht nachträglich die Rechtswidrigkeit des polizeilichen Vorgehens feststellen zu lassen.

So war IG Bau-Vertretern unter anderem der Zutritt zu einer Baustelle verwehrt worden. Als sie stattdessen vor deren Einfahrt eine „Spontanversammlung“ durchführten, interpretierten die Polizisten dies als „unangemeldete Demonstration“ und nahmen die Personalien auf, ohne die Versammlung vorher aufzulösen. Das wäre aber notwenig gewesen, selbst wenn keine Anmeldung vorlag. „Die Polizisten haben alles falsch gemacht“, sagt Donat. Und bei einem Streik an einer Straßenbaustelle bat die Polizei die Streikposten, die Fahrbahn zu verlassen und auf den Bürgersteig zu gehen. „Als die Leute das taten, bekamen sie eine Anzeige wegen einer ‚nicht-angemeldeten Versammlung‘“, berichtet Donat. „Das ist doch abstrus.“

Dass Polizeibeamte oft nicht auf dem neuesten Stand der polizeilichen Einsatzlehre sind, obwohl der Leitsatz „Arbeitskampf ist nicht die Stunde der Polizei“ in der einschlägigen Literatur zu finden ist, liegt oft an der schlechten Schulung im Bereich des Streikrechts. „Dann muss man den Polizisten Rechtsbewusstsein beibringen, damit sie denken lernen“, fordert Donat.

Aber auch die widersprüchlichen Dienstvorschriften tragen oft zur Unklarheit bei. Denn noch immer gilt die Polizeidienstverordnung PDV 100. Deren Wurzeln reichen in die Zeiten des deutschen Kaiserreichs zurück – als ein Streik noch als „Aufruhr“ oder „Gemengelage“ gewertet wurde.

Die Polizei indes scheint lernfähig. „Wir unterliegen grundsätzlich der Neutralitätspflicht im Rahmen des Streiks“, betont Polizeisprecher Ralf Meyer. Daher werde sich die Polizei bemühen, die Grundrechtsartikel des Streik- und Versammlungsrechts bei Streikaktionen richtig anzuwenden und mögliche Probleme durch „Kooperation“ zu bewältigen. Meyer weist außerdem auf die Möglichkeit hin, unangekündigte Streikaktionen vor Ort als „Spontan- oder Eilversammlungen“ zu deklarieren.

„Streik und Versammlungsrecht sind beides Schutzrechte“, bekräftigt Donat. Selbst wenn es Überschneidungen gäbe, „gibt es der Polizei nicht das Recht, das Streikrecht durch das Versammlungsrecht auszuhebeln“.