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Archiv-Artikel

Deutschland hängt bei Gleichstellung hinterher

Reisen ist für viele Behinderte unerschwinglich: Der Staat zahlt für besondere Bedürfnisse nichts dazu, aber einige Stiftungen gewähren Zuschüsse. Bei den Kapazitäten liegt Deutschland im europäischen Vergleich hinten

Von ALW

„Ich kenne keinen behinderten Menschen, der nicht gerne reist“, sagt Oliver Heyfelder vom Lebenshilfe Landesverband Hamburg. „Das Problem liegt in den mangelnden Finanzierungsmöglichkeiten.“

Beim Verreisen sind körperlich und geistig behinderte Menschen nicht nur auf eine besondere Betreuung und behindertengerechte Unterbringung angewiesen, sondern auch auf geeignete Transportmöglichkeiten. Die Mitnahme von Rollstühlen ist in den meisten Verkehrsmitteln noch immer sehr kostenintensiv. Fünfzehn Tage auf Mallorca kosten bei einem Veranstalter barrierefreier Reisen deshalb oft drei- bis viermal soviel wie bei einem normalen Reiseveranstalter. Da behindertengerechte Reisen vom Staat nicht bezuschusst werden, müssen die Betroffenen die Kosten fast immer selbst tragen. „Die Mehrheit unserer Kunden sind Privatpersonen, die die Reisen aus eigenem Erspartem oder familiärem Vermögen finanzieren“, sagt Sarah Schuhmacher, Leiterin der Hamburger Niederlassung von Weitsprung, einer Reiseagentur für behinderte und nichtbehinderte Menschen. Ohne derartige Rücklagen können viele behinderte Menschen es sich nicht leisten zu verreisen.

Einen Ausweg bietet in solchen Fällen die Finanzierung durch private Stiftungen. Da die meisten Stifter nicht öffentlich in Erscheinung treten möchten, übernehmen Trägerverbände wie die Lebenshilfe oder Leben mit Behinderung eine Art Mittlerfunktion zwischen Stiftungen und Förderbedürftigen. „Viele Kontakte ergeben sich bei Veranstaltungen“, sagt Heyfelder.

Einen Reiseveranstalter zu finden ist dagegen das kleinere Problem: „Die gewerblichen und institutionellen Anbieter nehmen immer weiter zu“, sagt Heyfelder, „schließlich sind barrierefreie Reisen ein guter Umsatzfaktor.“ Allein die Liste der Reiseveranstalter, mit denen die Lebenshilfe zusammenarbeitet, umfasst achtzehn Seiten.

Wie teuer eine Reise wird, hängt vom Reiseziel, den benötigten Hilfsmitteln, der erwünschten Betreuung und der Teilnehmerzahl ab. „Wenn zwei Leute nach Australien fliegen wollen und Rundumbetreuung benötigen, ist das natürlich relativ teuer“, sagt Schuhmacher. Besonders beliebt seien Fernreisen nach Afrika, Australien oder in die USA.

Der boomende Heimattourismus hat das barrierefreie Reisen noch nicht erfasst – und das aus einem ganz einfachen Grund: „Im südlichen Europa ist es für Hotels selbstverständlich, behindertengerecht zu bauen“, sagt Oliver Heyfelder von der Lebenshilfe. „In Deutschland hinken wir ein wenig hinterher.“ Er begründet dies mit dem späten Inkrafttreten des Gleichstellungsgesetzes, das in Deutschland erst seit 2002 gültig ist. ALW

www.lebenshilfe-hamburg.de www.weitsprung-reisen.de www.leben-mit-behinderung-hamburg.de