: berliner szenen Irgendwas ist immer
Verrückt in Berlin
Einer, der einen Vogel hat, liest sich im Kulturkaufhaus durch das Angebot. Bis zum Hals hat er Kleidung der Marke „unauffällig“ angelegt. Im Haar aber trägt er, als sei ihm dann der Übermut überkommen, eine Langspielplatte, auf der ein roter Vogel montiert ist. Der Vogel tänzelt bei jeder Bewegung.
Auf der Friedrichstraße geht eine junge Frau. Sie schreit: „Fuck! – Ihr könnt mich alle mal! – Arschlöcher! – Ich hab die Schnauze voll!“ Ihre Wut ist wohl nicht aktuell und scheint keinen konkreten Anlass zu haben. Sie wirkt vielmehr so, und das gibt zu denken, als habe sie es sich zur Gewohnheit gemacht, laut fluchend, unablässig Hasstiraden rufend, durch die Straßen zu laufen.
Ein anderer leistet in der U-Bahn ganze Arbeit. Er hat Streckenplänen abgegriffen, führt einen Vorrat mit sich. Entlang der gefalzten Kante zerlegt er nun einen Plan mittels einer skurrilen Technik. Er faltet und zerkleinert das Papier immer weiter, sorgfältig macht er das, bis der S- und U-Bahn-Plan vollständig in Schnipsel zerteilt ist, die er schließlich, ohne auch nur einen einzigen zu verlieren, in seiner Manteltasche bunkert. Dann greift er wie am Fließband den nächsten Plan und beginnt von vorn.
Im S-Bahnhof schließlich gibt ein Jugendlicher Laut, der ebenfalls genug hat: „Ich schlage euch alle zusammen! – Scheißpolitik! – Ihr werdet noch viel mehr Gewalt erleben! – Ich bringe euch alle um! Und dann mich!“, brüllt er, tritt um sich, hält demonstrativ einen Finger an den Kopf, so als würde er sich erschießen. Was für grausige Bilder diese Ansage doch mittlerweile aktiviert. Der Wüterich sitzt voller Alkohol. Sein Freund, er ist stärker als er, hält ihn fest. Der Input Berlins, erlebt in drei Stunden. Irgendwas ist immer. GUNDA SCHWANTJE