: Die Farbfolge der Plastikbecher
Weshalb Hochbegabte schneller denken können: „HighQ – Gehirne in Hochgeschwindigkeit“ im Gorki Studio
Diesem Thema widmen auch Journale wie der Stern immer mal wieder Titelgeschichten: hochbegabte Kinder, die zunächst unerkannt als sozial auffällige Schulverweigerer am Rand der Mehrheitsgesellschaft dümpeln. Die dann, kaum in ihren besonderen Fähigkeiten endlich wahrgenommen, als Wunderkinder die Gesellschaft faszinieren, die über sie eben noch die Nase rümpfte. Und so spricht irgendwann an diesem Abend auch eine Spezialistin per Videoeinspielung zum Thema: dass viele Hochbegabte ihre verkannten Fähigkeiten mitunter sogar in Kriminalität investieren würden. Der Kaufhauserpresser Dagobert zum Beispiel sei mit einem IO von 140 ein solcher Fall gewesen, sagt Jutta Billhardt, die Vorsitzende des Vereins „Hochbegabtenförderung e. V.“.
Im Übrigen kamen im Studio des Maxim Gorki Theaters für die Aufführung „HighQ“ sechs betroffene Kinder im Alter von 10 bis 17 selbst zu Wort. Vor Beginn der Vorstellung mussten alle Zuschauer einen Bogen mit in krakeliger Kinderschrift verfassten Intelligenztestfragen ausfüllen. Die elfjährige Livia gab grübelnden Erwachsenen hier und da freundlich Hilfestellung. Das Ergebnis fiel mit einem Zuschauerdurchschnitts-IQ von 83 trotzdem verheerend aus.
Dann ging es los, und die sechs Kinder und Jugendlichen verhandelten in mehreren Episoden ihre Hochbegabung in Form von Erzählungen oder kleinen Showeinlagen. Der elfjährige Than zum Beispiel konnte aus dem Kopf exakt die farbliche Reihenfolge einer langen Schlange aus gelb-weißen Plastikbechern memorieren.
„HighQ-Gehirne in Hochgeschwindigkeit“ heißt der Theaterabend der lunatiks-produktion, der jetzt als Koproduktion mit dem Schauspiel Frankfurt im Studio des Maxim Gorki Theaters zu sehen war. Deren Wettbewerb, „Eine Jugend in Deutschland“, hatten die lunatiks mit ihrem Konzept für das Projekt (nicht mit der Inszenierung!) gewonnen. Die Formation von Tobias Rausch, Jan Linders und Ilka Rümke experimentiert seit langem mit hybriden Theaterformaten zwischen Dokumentartheater und Performance, lotet neue theatralische Räume und Möglichkeiten aus, wie vor fast vier Jahren mit dem Projekt „LivingRooms“. Das war eine Theateraufführung, die man bei Ebay ersteigern konnte und die dann beim jeweils Höchstbietenden zu Hause aufgeführt wurde.
Nun also soll sich das Theater als soziales Forschungslabor versuchen: Neun Monate arbeiteten Rausch, Linders und Rümke mit den sechs Jugendlichen, die ihre Erfahrungen mit ihrer Umwelt, deren Unverständnis und ihren besonderen Talenten szenisch übersetzen sollten. Und so sieht man den zehnjährigen Lovis ein melancholisches, selbst komponiertes Lied auf dem Akkordeon spielen, die vierzehnjährige Yasmin liest eigene Texte vor, die zum Beispiel klaustrophobische Klinikfantasien verhandeln. Der fünfzehnjährige Stein präsentiert in kurzen Lehrsätzen verschiedene physiologische Voraussetzungen, weshalb Hochbegabte schneller denken können, und vollführt dabei lustlos ein paar Skateboard-Tricks.
Altkluge Spitzen
Die siebzehnjährige Lisanne macht einige Ballettübungen, derweil sie Altkluges und Halbgares zum Verhältnis von Körper und Geist von sich gibt. „Kartesisches Ballett“ ist die Szene überkandidelt überschrieben und in gewisser Weise symptomatisch für die Gesamtveranstaltung, die immer wieder Erfahrung mit Ressentiment verwechselt und eher mit Hybris als mit Klugheit und Beobachtungsgabe aufgefallen ist. Auch was Lisanne über eine auf ihre äußere Erscheinung bedachte Klassenkameradin zu sagen hat, würde die eher durchschnittlich begabte Kritikerin tendenziell unter „Zickenkrieg“ und nicht unter „Erfahrung einer Hochbegabten mit ihrer Umwelt“ verbuchen.
Lediglich leidlich lustig, dafür umso klischeestrotzender ist auch die Auseinandersetzung mit den berühmten Symbolen des Intelligenztests von Hans Jürgen Eysenck. Küchenpsychologisch werden daraus nach der Methode „Freud für Anfänger“ feixend Schlüsse auf Eysencks Beziehung zu seiner Mutter und seinem Verhältnis zur eigenen Männlichkeit gezogen.
Am Ende machen die jungen Performer eine Sitzblockade gegen den „Leistungskapitalismus“. „Wenn Sie uns heraustragen, beweisen Sie, dass das System nur mit Gewalt aufrechtzuerhalten ist.“ Auch hier waren kreative Lösungen wie ziviler Zuschauerwiderstand (in Form des Verlassens der Vorstellung zum Beispiel) nicht gefragt, und die Jugendlichen wurden von vorbereiteten Kräften zum Abbruch der Blockade „gezwungen“.
ESTHER SLEVOGT
„HighQ – Gehirne in Hochgeschwindigkeit“, wieder am 19. Feburar im Gorki Studio, 20 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen