„Auffälliges Missverhältnis“

Das Arbeitsgericht Bremen hat Stundenlöhne von fünf Euro für Auspackhilfen als sittenwidrig verworfen. Die Gewerkschaft Verdi hofft jetzt auf ein Ende der „Dumpinglöhne“ im Handel

von JAN ZIER

Ein Stundenlohn von fünf Euro für Auspackhilfen im Supermarkt ist sittenwidrig – weil er um mehr als ein Drittel unter dem allgemeinen Tariflohn für den Einzelhandel liegt. Das haben jetzt vier Kammern des Arbeitsgerichts Bremen-Bremerhaven in mehreren ähnlich gelagerten Fällen entschieden – und zugleich den Arbeitgeber verpflichtet, gemäß des Tarifvertrages einen Stundenlohn von 9,70 Euro zu zahlen. Das Urteil sei auch auf die meisten anderen Branchen anwendbar, sagte Gerichtssprecher Michael Grauvogel – aber noch nicht rechtskräftig: Berufung vor dem Landesarbeitsgericht ist möglich. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi sprach gleichwohl von einem „wichtigen Urteil“, das helfen könne, dem Trend zu „Dumpinglöhnen“ im Handel ein Ende zu bereiten.

Die zwischenzeitlich entlassenen fünf Klägerinnen waren allesamt geringfügig beschäftigt, ihre monatliche Arbeitszeit variierte zwischen 20 und mehr als 50 Stunden. Offiziell angestellt waren sie bei einem unter anderem für die Metrogruppe tätigen und in Berlin ansässigen Personalservice. Vertraglich vereinbart waren dabei 39 Stunden je drei Monate. Zwar existiert für die Auspackhilfen kein spezieller, eigenständiger Tarifvertrag – jedoch hat das Arbeitsgericht den bestehenden Einzelhandelstarifvertrag für sie als maßgebliche Orientierungsgröße herangezogen.

Der Stundenlohn von fünf Euro liege um 48 Prozent unter dem ortsüblichen Niveau. „Damit liegt ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vor“, entschied das Gericht unter Berufung auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs. Der hatte zuvor entschieden, dass die gezahlten Stundenlöhne stets mindestens zwei Drittel des Tariflohns betragen müssen, um nicht sittenwidrig zu sein. Darüber hinaus sprach das Arbeitsgericht den Klägerinnen auch als Mini-Jobber eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu.

Der Personalservice hatte sich darauf berufen, dass allenfalls 6,67 Euro als tarifvertraglicher Stundenlohn anzusetzen seien, abzüglich der Sozialversicherungsbeiträge, die für Mini-Jobber nicht anfallen. Die Netto-Vergütung von fünf Euro pro Stunde bewege sich damit im Rahmen des in Bremen Branchen- und Ortsüblichen, so die Beklagte, die gestern für eine Stellungnahme nicht zu erreichen war. Den Tarifvertrag für den Einzelhandel mochte der Personalservice dabei vor Gericht nicht für sich gelten lassen – die Auspackhilfen hätten ja keinerlei Arbeiten im Handel erbracht.

Auch das Argument, das man von fünf Euro pro Stunde nicht leben kann, focht den Arbeitgeber nicht an – die Arbeiterinnen hätten ja allesamt noch Geld von der Bundesanstalt für Arbeit bezogen. Die RichterInnen ließen das nicht gelten: „Das Ungleichgewicht“ in der Bezahlung lasse sich keinesfalls mit dem Hinweis auf die sonstigen Sozialleistungen „rechtfertigen“, heißt es in der Urteilsbegründung.

Gerichtssprecher Grauvogel sagte, das Urteil sei überall dort anwendbar, wo einzelvertraglich Löhne vereinbart würden, die „erheblich“ unter dem liegen, was als üblich gelten kann. Das könne fast alle Branchen betreffen. Verdi hofft nun, das nun auch andere Angestellte den Mut hätten, „aufzustehen“ und gegen ihre schlechte Bezahlung „anzugehen“. Auch der Textildiscounter Kik zahle schließlich oft nur 5,50 Euro die Stunde, sagte Verdi-Fachsekretär Richard Schmid.