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Archiv-Artikel

Gottlieb Gnadenlos

WERNER BÖHM IN DREI DATEN

1982: Drei Jahre nach seinem Debüt als Ulknudel Gottlieb Wendehals und einem ersten Erfolg mit dem Schlager „Herbert“ gelingt dem gelernten Kaufhausdekorateur Werner Böhm mit der „Polonäse Blankenese“ der Durchbruch. Der Titel des Hamburgers hält sich 20 Wochen auf Platz eins der Hitparade, wird bei der Gema als Evergreen registriert – und ist bis heute einer der beliebtesten Karnevalsschlager.

2004: Werner Böhm tourt noch immer als Gottlieb Wendehals, kann aber nicht mehr an seine Erfolge aus den frühen 80ern anknüpfen. Schlagzeilen macht er stattdessen als Teilnehmer des umstrittenen RTL-Dschungelcamps.

2008: Werner Böhm kandidiert bei der Hamburger Bürgerschaftswahl am 24. Februar auf Listenplatz zwei für die Zentrumspartei. Dort haben sich ehemalige Mitstreiter des Rechtspopulisten Ronald Schill gesammelt. AGX

AUS HAMBURG ASTRID GEISLER UND OLAF BALLNUS (FOTO)

Bis halb fünf hat er gebrütet über dem Konzept, kaum geschlafen. Jetzt ist es kurz vor elf, fahl ist sein Gesicht, aber Werner Böhm kommt langsam wieder in Fahrt. Die Vormittagssonne tanzt in seinem Glas Chardonnay. Er hat ein Federmäppchen aus seiner Aktentasche auf den Tresen gepackt, die Lesebrille und einen Stapel handschriftlicher Manuskripte. Das Konzept muss endlich werden. Schließlich bleiben bis zu seinem großen Einsatz beim Wahlkampffinale nur noch ein paar Tage.

Eben ist ihm wieder eine Idee gekommen. „Sollten Sie ruhig mal mitschreiben“, sagt Böhm. „Ein Denkanstoß!“ Er macht eine bedeutungsvolle Pause. Dann diktiert er, Silbe für Silbe. „Ole von Beust hat sich neu ablichten lassen für sein Wahlplakat. Der Fotograf hat leider vergessen, das Charisma von John F. Kennedy in das Gesicht von Ole von Beust zu zaubern.“ Er blickt zufrieden von seinem Zettel auf, nimmt einen Schluck.

Es ist eine ungewohnte Rolle, die er da probt: Werner Böhm, 66 Jahre, Kandidat für die Hamburger Bürgerschaftswahl am kommenden Sonntag. Noch vor einem Jahr hätte er selbst auf einen Witz getippt: Ein Nonsens-Profi wie er will in die Landespolitik?

28 Jahre hat er als Schlagersänger Gottlieb Wendehals mit Gummihuhn unterm Arm das Land bespaßt, 25 Jahre „Polonäse Blankenese“ auf dem Buckel. Inzwischen passiert es ziemlich selten, dass etwas Nettes über ihn in der Boulevardpresse steht. Vorbei die Zeiten, da er als virtuoser Jazzpianist mit Kapazitäten wie Ella Fitzgerald und Louis Armstrong auftrat. Vorbei auch jene, da er als Hitparaden-König morgens um vier die Geldscheine auf der Bettkante zählte. Die Millionen sind weg. Nach „Big Brother“-Container und Ehekrisen, Alkoholexzessen und Privatinsolvenz trägt Werner Böhm den Stempel als gebrochene Promi-Existenz. Er hat sich daran gewöhnt. Notgedrungen. Was soll ihm schon noch passieren? Dass die Radiosender ihn nicht mehr spielen? „Mein Gott“, ruft Böhm, „die spielen mich doch sowieso nicht!“

Wundern kann man sich allerdings trotzdem über die Kampagne, in die er sich da stürzt. Sein halbes Leben hat Werner Böhm die SPD gewählt, er schwärmt bis heute für Helmut Schmidt, dessen Bundestagswahlkampf er 1980 mit einer Schlagereinlage dekorierte. „Eigentlich“, sagt er schelmisch, „hab ich den Helmut Schmidt erst zum Bundeskanzler gemacht!“ Nur tritt Böhm am Sonntag nicht für die Sozialdemokraten an, nicht für die Grünen, denen er mal die Stimme gab, auch nicht für die CDU, deren Unterstützer er zuletzt war. Ein neuer Mitgliedsausweis steckt griffbereit in seinem Portemonnaie. Böhm ist die Nummer zwei der Zentrumspartei, Wahlkreis Hamburg-Rahlstedt, zuständig für Kultur und Bildung. Und er wirkt, als mache ihn das mächtig stolz. Die Zentrumspartei sei immerhin die älteste Partei in Deutschland, verkündet Böhm. Eine Kraft der Mitte. „Unheimliche Achtung“ habe er vor dem Spitzenkandidaten Dirk Nockemann.

Das behaupten nur noch wenige Hamburger. Böhms neue Gefährten gelten in der Hansestadt als Relikte einer Ära, an die viele Wähler lieber nicht mehr erinnert werden – die Ära des Rechtspopulisten Ronald Schill. Spitzenkandidat Dirk Nockemann, 49, war einer der führenden Köpfe der Schill-Partei, er war Schills Büroleiter und übernahm nach dessen Abgang im August 2003 ein paar Monate dessen Posten als Innensenator. Auf Platz drei der Zentrumsliste steht Norbert Frühauf, einst Chef der Schill-Fraktion. Für Platz zwei war zunächst der Anti-Islam-Guru Udo Ulfkotte eingeplant. Aber Ulfkotte sagte ab. Später warb die Kleinstpartei um die Moderatorin Eva Herman.

Ob Werner Böhm über seinen Job redet oder über Politik, immer wieder kommt er an diesem Vormittag in einer Hamburger Hotelbar auf seinen „kleinen Wurm“ und dessen Zukunft zu sprechen. Weich klingt er dann. Böhm ist im vergangenen Frühjahr noch einmal Vater geworden, ein aktiver, ein später Vater, seine Frau ist 32 Jahre jünger als er. Man fragt sich: Was treibt ausgerechnet diesen lockeren, kumpelhaften Kerl in die Reihen der Schill-Erben? Warum kämpft er für Leute, die sich von der österreichischen Haider-Partei inspirieren lassen?

Ganz einfach, sagt Werner Böhm: Enttäuscht sei er gewesen von den Volksparteien. Ratlos, was er noch wählen sollte. Jeder Taxifahrer, poltert er, könne das Rathaus doch besser regieren als die da oben. Eines Tages habe ihm sein Anwalt zufällig von der Zentrumspartei erzählt, von Nockemann und dessen Mitstreitern. Man habe sich getroffen – und blendend verstanden.

So einfach? Die politische Vorgeschichte seiner neuen Freunde scheint Werner Böhm nicht zu scheren. Natürlich sei Schill ein „bunter Vogel“ gewesen, sagt er. Respektvoll klingt es, wie Böhm nachschiebt: „Ich liebe Exoten!“ Er sieht sich ja selbst als einen.

Vielleicht konnte er sich auch deshalb so gut mit der Zentrumspartei anfreunden, weil er sich deren Wahlprogramm und Pressemitteilungen gar nicht erst durchgelesen hat. Zumindest scheinen ihm einige Forderungen seiner Mitstreiter unbekannt. Die warnen vor der ungebremsten Islamisierung des Landes, fordern ein Vetorecht gegen Moscheeneubauten und ein „Verschleierungsverbot“ für Muslima.

„Verschleierungsverbot?“ Böhm schaut unsicher zu Nockemann, der gerade verspätet von einem Wahlkampftermin hinzugestoßen ist. „Da bin ich gespalten“, sagt Böhm vorsichtig – und legt dann nach. „Ich kann doch einem Menschen, der aus einem arabischen Land kommt, nicht sagen: Ich reiß dir jetzt die Klamotten runter.“ Hat er womöglich Angst vor der Islamisierung Deutschlands? „Absolut nicht!“ Die einen seien halt Buddhisten, die anderen Katholiken. Natürlich sei er gegen Gewaltpredigten. Aber, versichert Böhm: „In Deutschland leben wir doch schon in einer Multikulti-Gesellschaft.“ Im Wahlprogramm der Zentrumspartei steht: „Wir fordern den Integrationszwang für alle Zugewanderten statt Multi-Kulti-Blödsinn.“

Nockemann schaltet sich ein. Er zieht einen Zeitungsartikel über einen Moscheeneubau in Bergedorf aus der Tasche. „Wir haben nichts gegen Moscheen“, schnaubt er, „wir haben etwas gegen solche Monstermoscheen, die da gebaut werden.“ Eben hat er noch stolz erklärt, es sei ein Gewinn für seine Partei, einen wie Böhm dabeizuhaben. Der könne als Musiker am besten Leute ansprechen, die sich gar nicht für Politik interessierten. Jetzt wirkt Nockemann irritiert. Geht der Partei da gerade ihr Werbemaskottchen durch?

Die beiden Herren, die an diesem Samstagvormittag in der Hotellobby am Bahnhof Dammtor zusammensitzen, könnten kaum verschiedener sein. Hier der Senator a. D., wie Nockemann sich gerne tituliert, da der ergraute Tresenrocker. Der eine trägt einen staatsmännischen Anzug in dunklem Blau und einen schweren, knielangen Mantel. Der andere einen Wollpulli und eine Daunenweste mit der Aufschrift „FFH-Crew“, die er bei seinem jüngsten Rosenmontagsjob abgestaubt hat. Nockemann ordert Cappuccino, Böhm noch einen Chardonnay. In seiner Amtszeit als Innensenator forderte Nockemann ein Verbot der RTL-Dschungelshow, während Böhm gerade Geld machte und fürs Fernsehpublikum durch ein Aquarium mit Kakerlaken robbte.

Vielleicht hat Werner Böhm einfach ein paar gnadenlose Jobs zu viel gemacht in den letzten Jahren. Vielleicht sehnt er sich nach neuer Anerkennung. Jedenfalls ist er es satt, sich für seine Arbeit zu rechtfertigen. „Warum“, fragt er aufgebracht, „wird auf den Schlagersängern herumgeprügelt, wenn sie in irgendwelchen Möbelhäusern auftreten?“ Geld verdienen, das sei doch keine Schande. „Es geht ums Überleben!“

Man muss nur erleben, wie er mit seinen 66 Jahren durchs Land tingelt. Unlängst, am Rosenmontag, zum Beispiel. Kurz nach zwölf steht Werner Böhm in der leeren Eingangshalle von Möbel-Sommerlad im Gießener Industriegebiet. Ein Privatradio hat ihn für eine Höreraktion gebucht. Vierzehn Stunden muss er von einem Sparkassenfoyer zum nächsten Autohaus hetzen, quer durch Hessen. Löcher aus dem Käse! Polonäse! Blankenese! Zum abertausendsten Mal. Eine Luftschlange hängt von seinem Hals, Konfetti ist durch die Furchen seiner Gelfrisur gerutscht. Böhm schnappt sich ein Sektchen vom Empfang. Und noch eins. Dann hopst er mit der Firmenchefin und ein paar Verkäufern im Rücken durch die Sofaabteilung. Zum Dank gibt’s ein Gratisessen im Kundenbistro.

Als Entertainer sei er nur eine Ware, als Politiker nicht käuflich, sagt er. Ist das der Irrtum? Die Partei wollte Wendehals, bekommen hat sie Böhm

Böhms Manager schwärmt für die Politikkampagne seines Schützlings. Die sei „lustig und provokativ“, versichert Ernst Albrecht Scholz. „Mich erinnert das ein bisschen an den frühen Udo Lindenberg.“ Zumindest bringt sie dem Schlagersänger mal andere Presse.

Böhm selbst allerdings bestreitet, dass er der PR wegen in die Politik strebe. Anders als die meisten Künstler habe er keine Angst, seine Meinung zu verkünden. „Ich möchte etwas ändern hier in Hamburg!“ Ein kinderfreundlicheres Land mit besseren Schulen, das sei sein wichtigstes Ziel.

Es sind zwei Welten für ihn: Job und Politik. Als Gottlieb Wendehals sei er bloß „eine Ware“, sagt Böhm. „Aber als Politiker bin ich nicht käuflich. Da bin ich einer, der etwas bewegen will.“ Er sei kein Jasager und genau darauf auch stolz. Vielleicht ist das der eigentliche Irrtum. Die Partei wollte Gottlieb Wendehals buchen – bekommen hat sie Werner Böhm.

Und der läuft an diesem Wahlkampfsamstag in Hamburg zu Hochform auf. Die Mittagssonne strahlt, gemeinsam mit den Parteifreunden zieht Böhm los, Broschüren verteilen. „Deutschland ist unser Land!“ steht darin und dass Ausländer „nach unseren Bedingungen“ leben oder verschwinden sollten. Und dass Muslime aus den Rundfunkräten rausgehalten werden müssten. „Das ist Wahlkampf pur“, jauchzt Böhm, „direkt am Volk!“ Er tänzelt um Passanten herum, pfeift ihnen hinterher. Werner Böhm hat seinen Spaß. Dass er gerade für Schills frühere Kumpane rechte Parolen unter die Leute bringt, scheint ihm schnuppe.

Skeptisch beäugen die Parteigrößen diese Show. „Für uns ist das nicht verkehrt“, tuschelt irgendwann der Ex-Schillianer Norbert Frühauf. Mit seinem „ehrlichen Engagement“ spreche Böhm die „normalen Bürger“ an. Er klingt entschuldigend. Es habe ja schließlich jeder so seine problematische Vergangenheit. „Lieber ein freier Betrunkener als ein korrupter Machtpolitiker.“ Norbert Frühauf stockt. „Betrunken ist er ja nicht – aber …“

„Schönen guten Morgen!“, flötet Böhm ein paar Meter weiter. „Darf ich Ihnen den Tag versüßen?“ Die Dame winkt ab. „Die schweigende Mehrheit“, seufzt Böhm. Er grinst. So schnell vermiest ihm keiner die Laune.