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Archiv-Artikel

Goldene Hirsche aus dem Altai

Sie waren gebildet, mobil, streng hierarchisch organisiert und prunksüchtig: Eine Ausstellung im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe präsentiert Gold, Holz, Leder, sogar Filz der nomadischen Skythen. Auf die Präsentation der berühmten „Eismumie“ hätte man allerdings getrost verzichten können

Die Frau des Fürsten zu sein, war wohl kein Vergnügen. Denn im Falle seines Todes wurde die Gattin samt Dienern gleich mit ermordet

VON PETRA SCHELLEN

Sie waren knallharte Pragmatiker und sie mussten es auch sein. Denn die nomadischen Skythen mussten ja alles schnell wegpacken können, wenn das Vieh neue Weiden brauchte oder ihnen andere Stämme ihr Revier streitig machten. Und sie mussten immer bereit sein, ihr Gebiet zu verteidigen, mussten als gut organisierter Tross durch die Steppe ziehen – und das mit Sack und Pack.

Ziemlich überraschend also, dass ein so unstetes Nomadenvolk, das zwischen dem 8. und 3. Jahrhundert v. Chr. zwischen Sibirien, Ägypten, der Mongolei und der Oder lebte, riesige, jahrtausendelang haltbare Fürstengräber hinterließ. Denn wann sollen sie das alles hergestellt haben, wenn sie doch immer auf dem Sprung waren?

Die aktuelle Ausstellung im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe, dritte und letzte Station der Schau nach München und Berlin, beantwortet diese Frage nicht. Aber ihre über 6.000 Exponate vermitteln tiefe Einblicke in die Widersprüche dieser immer noch wenig erforschten Kultur. Denn woher die vermutlich nordiranischen Skythen exakt stammten, weiß niemand – und warum europäische Geschichtsbücher sie kaum erwähnen, eigentlich auch nicht. Zwar ist die gesamteuropäische Erforschung dieses riesigen Gebiets umfassend erst seit dem Ende der Sowjetunion möglich. Aber das erklärt nicht, warum man über sie weniger weiß als etwa über Hunnen oder Mongolen.

Kulturell konnten sich die Skythen mit anderen Völkern der Antike durchaus messen: Wichtigster Beweis ist der stark ornamentale Tierstil, der allenfalls zarte Vorläufer in Südsibirien hatte. Im Grunde haben ihn die Skythen erfunden – und vor allem perfektioniert: Detailreich wurden da Hirsche, Elche, Leoparden, Löwen und Hasen in Gold geschmiedet, um zivile und kriegerische Kleidung, auch Pferde zu zieren. Am verbreitetsten waren zahlreich aufgenähte Ornament-Plättchen. Dass die Tiere konsequent mit untergeschlagenen Beinen – sitzend und schwebend zugleich – dargestellt wurden, verleiht ihnen eine zusätzliche ästhetische Dimension. Ob diese Kunstwerke bloße, leicht verfremdete Abbildung der Realität waren oder gar als Amulette für ein weiterhin nahrungsreiches Dasein dienten, wissen die Forscher nicht. Denn die Skythen hatten keine eigenen Schriftzeichen. Es existieren also keine authentischen Quellen, die über ihren Alltag informieren.

Auch über die Herkunft des für all den Prunk nötigen Goldes weiß man wenig. Zwar soll es Bergwerke im Altaigebirge und in Kasachstan sowie Flussgold aus Siebenbürgen gegeben haben. Ob hier Gold für die Skythen gefördert wurde, ist allerdings unklar. Das meiste haben die Skythen wohl durch Handel oder auf Kriegszügen beschafft. Fest steht jedenfalls, dass die fein geschmiedeten Kunstwerke, die massenhaft in Gräbern lagen, für die Eliten bestimmt waren und nicht fürs gemeine Volk. Denn die vier Meter hohen, bis zu 100 Meter breiten Grabhügel mit raffinierten Stein- und Holz-Konstruktionen im Inneren galten selbstverständlich Königen und Fürsten. Wobei es vermutlich nicht vergnüglich war, des Königs Frau zu sein. Denn die wurde, falls der Gatte starb, ermordet – nebst Dienerschaft und Pferden –, um als Teil des königlichen Eigentums mit beerdigt zu werden. Das offenbaren die Gräber, in denen – neben dem Fürsten – Frauenleichen mit erheblichen Schädelfrakturen gefunden wurden. Aber der griechische Historiker Herodot schrieb über sie – und auch das erst, nachdem einige Skythenstämme im 5. Jahrhundert v. Chr. am Schwarzmeer sesshaft geworden waren. Dort waren sie Nachbarn der Griechen, die sich über das angeblich unschlagbare Reitervolk Gedanken machten.

Über das skythische Weltbild weiß man trotzdem fast nichts – nicht einmal die Frage, ob das Gold auch symbolische Bedeutung hatte, lässt sich klären. Einziger zarter Hinweis auf eine Kosmologie ist ein goldener skythischer Fisch, gefunden in Vettersfelde im heutigen Westpolen. Auf ihm sind Land-, Luft- und Wassertiere – Wesen aller Sphären also – dargestellt. Vielleicht ein Verweis auf einen irgendwo wirkenden Schöpfer.

Solche versteckten Hinweise sind aber nicht das eigentlich Fesselnde an dieser Ausstellung, die unter anderem – unterm halben Baldachin – die Dimension eines Hügelgrabs samt Beigaben zu inszenieren sucht. Das wirklich Eindrückliche ist, dass hier – obwohl es sich um eine Antikenausstellung handelt – nicht nur das so haltbare Metall ausgestellt ist, sondern auch organische Stoffe: Teppiche, Filzstiefel, Lederbeschläge und filigran geschnitzte Holz-Sargdeckel sind hier zu finden. Materialien, die für gewöhnlich in wenigen Dekaden zerfallen; mehrtausendjährige Originale gibt es fast nirgends. Doch in den Gräbern des Altai wurde es so kalt, dass die Verstorbenen samt Grabbeigaben schnell von Kondenswasser umschlossen und „gefriergetrocknet“ wurden. Und auch, wer nicht zur Sentimentalität neigt, wird ein bisschen angerührt sein von der Nähe zur Vergangenheit, die ein – quasi gestern – geschnitzter Tisch oder halb aufgerollter Teppich eher herstellt als ein Collier aus purem Gold.

Einflüsse anderer Kulturen finden sich in den künstlerischen Formen der Skythen übrigens kaum: Denn die griechischen Vasen und die chinesische Seide, die in einigen skythischen Gräbern lagern, sind vermutlich Handelsware; einzige Ausnahme bildet der graeco-skythische Stil des nördlichen Schwarzmeerraums, wo sich die Kulturen mischten. Hier bekommen die sonst so abstrakten skythischen Tierdarstellungen fast realistische Züge. Und gelegentlich taucht sogar der Mensch auf, integriert in griechisch-mythologische Szenen.

Die Achtung vor den Toten allerdings, den Pyramidenbau und auch eine gewisse Prunksucht – all dies hatte die skythische Oberschicht durchaus etwa mit den Ägyptern gemeinsam. Und wer Jahrtausende überdauernde Gräber schafft, muss irgendeine Form des Jenseitsglaubens haben. Vielleicht werden künftige Forschungen hier mehr erweisen.

Was aber die Ausstellung trotzdem getrost hätte unterlassen können: das Exponieren der im Altai-Gebirge gefundenen „Eismumie“ aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. Ein Krieger, gefunden anno 2006 samt kompletter Kleidung, liegt da in Hockstellung, dem Betrachter zugewandt. Fast wirkt es, als lächle er einen an, der tätowierte Nackte, dem die Forscher die Kleidung ausgezogen haben. Und zwar haben ihn die Ausstellungsmacher dezent hinter einem Vorhang versteckt, sodass man ahnt, was kommt und sich eventuell der Begegnung entziehen kann. Trotzdem bleibt es problematisch, dies zu zeigen. Denn selbst wenn man den Pietätsaspekt außer Acht lässt: Einen Erkenntnisgewinn bringt die Anschauung solch einer Mumie nicht.

Die Ausstellung ist bis 25.5. im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe zu sehen.