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Archiv-Artikel

Ökohauptstadt Freiburg

In der südwestlichsten Stadt Deutschlands gibt es viele Überzeugungstäter in puncto Energiesparen und Sonnennutzung. Inzwischen rechnen sich die Projekte und locken Fachtouristen und Neugierige an

ÖKOTOURISMUS

Mehrere tausend Fachtouristen besuchen jährlich das Dreiländereck Frankreich–Schweiz–Deutschland, um vorbildliche Umweltprojekte zu studieren. In Freiburg existieren zwei Agenturen, die Programme für diesen Boom des Ökotourismus anbieten. „Bei uns gib es alles à la carte“, wirbt Hans-Georg Herr von „Futour.“ Egal ob für Schulklassen, Stadträte, Ingenieur- oder Forschergruppen – sein Büro stellt ein Programm je nach Interesse zusammen. Die Führungen vor Ort übernehmen Energieberater, Architekten oder sonstige Spezialisten, die zu einem 20-köpfigen Netzwerk gehören. www.freiburg-futour.de Der gemeinnützige Verein „Innovation Academy“ organisiert Seminare. Außerdem pflegt er Kontakte ins Elsass und nach Basel, wo sich eine umweltfreundliche Industrieproduktion umfassender erleben lässt als in Freiburg. www.innovationacademy.de Wer auf eigene Faust unterwegs sein will, kann bei der Stadt den Erlebnisführer „Solartouren in Freiburg“ und anderes Informationsmaterial bestellen. Mit Bus, Straßenbahn und Zug lassen sich alle Punkte in der Stadt und der schönen Umgebung vom Rhein bis zum Titisee gut erreichen. www.solarregion.freiburg.de

VON ANNETTE JENSEN

Schon am Bahnhof zeigt sich Freiburg von seiner umweltfreundlichen Seite: Zwei anthrazitfarbene Hochhaustürme sammeln Sonnenlicht zur Stromerzeugung. Auch das runde Fahrradparkhaus „Mobile“ mit tausend bewachten Stellplätzen hat Solarkollektoren in die Balkongeländer integriert. Wer Freiburg besucht, sollte sich hier am besten gleich ein Radel leihen: Umringt von Schwarzwaldbergen, liegt die Stadt flach im Tal und bietet ein hervorragendes Fahrradwegenetz.

Freiburg gilt als Deutschlands grüne Hauptstadt. Sowohl in dem 220.000-Einwohner-Ort als auch in der Umgebung zeigen konkrete Beispiele, wie man auch extrem ehrgeizige Klimaschutzziele erreichen kann – wenn man nur will.

Sogar Altbauten können CO2-neutral betrieben werden. Das beweist das Hotel Victoria, nahe dem Bahnhof. Der altehrwürdige Gründerzeitbau entspricht keineswegs dem, was gemeinhin mit „Öko“ assoziiert wird. Die solide eingerichteten Zimmer verfügen über Aircondition und Minikühlschrank, und auch sonst gibt es für die Gäste im Victoria alles, was sie aus anderen Viersternehotels gewöhnt sind.

Hoteldirektor Bertram Späth wirkt mit seiner eckigen Metallbrille äußerst seriös. Doch in puncto Umwelt ist der Mann ein Überzeugungstäter – so wie viele hier, die in ihrer Jugend gegen das Atomkraftwerk Wyhl gekämpft haben und später Alternativen entwickeln wollten.

„Als Erstes haben wir geschaut, wo man Energie einsparen kann, ohne dass die Gäste es merken“, berichtet der 50-jährige in seinem badischen Akzent. Bewegungsmelder, dreifach verglaste Fenster und Sparlampen, die dank gelber Schirme nicht als solche zu erkennen sind, brachten bereits 15 Prozent. Dann beteiligte sich Späth an Windrädern, wechselte zu den Schönauer Stromrebellen und ließ auf dem Flachdach Warmwasser- und Photovoltaikanlagen installieren. Die CO2-Einsparung zugunsten der Atmosphäre lässt sich aktuell auf der Digitalanzeige neben der Rezeption ablesen.

Interessierte, die sich in wachsender Zahl in seinem Hotel einmieten, nimmt Späth auch gerne mit in den Keller, wo eine Holzpelletheizung rumpelt: Die wie Hühnerfutter aussehenden Pellets aus gepressten Spänen lagern dort, wo früher die Öltanks standen, und stammen aus einem acht Kilometer entfernten Sägewerk. „Bevor wir nachgefragt haben, galt das Material als Abfall“, berichtet der Hoteldirektor. Beim Einbau der damals noch einmaligen Heizung rechnete Späth mit Mehrkosten von 6.000 Euro pro Jahr; inzwischen sieht es wegen der hohen Öl- und Gaspreise genau umgekehrt aus. Auch die mit Grundwasser betriebene Klimaanlage, die lediglich für ihre Pumpe Strom benötigt, wird sich in etwa sechs Jahren amortisiert haben. „Schließlich ist die Kühlung des Wassers gratis.“ Nur zwei Gullydeckel im Hof, unter denen sich zwei tiefe Brunnen verbergen, zeugen von der Innovation.

Eine Viertelstunde vom Victoria entfernt liegt die weltweit erste Neubausiedlung, die mehr Energie erzeugt als verbraucht. Obwohl es draußen nur wenige Grad über null ist, sitzt der 70-jährige Wolfgang Schnürer ohne Jacke in seinem ungeheizten Wohnzimmer mit der großen Fensterfront. „Mein Körper und die Tasse Kaffee reichen völlig aus, um das ganze Haus zu wärmen“, sagt der frühere Grund- und Hauptschullehrer und freut sich diebisch, wenn seine Besucher ihn für ein bisschen verrückt halten. Doch die Nord-Süd-Ausrichtung des Hauses, die 40 Zentimeter dicke Isolierung der Wände und die tief in die Rahmen eingelassenen Fensterscheiben sorgen dafür, dass keine Wärme verloren geht. „Dennoch ist die Atmosphäre hier drinnen besser als in anderen Häusern“, versichert Schnürer, der jahrelang an Asthma litt und seit seinem Umzug keine Beschwerden mehr hat. Innerhalb von zwei Stunden wird der Sauerstoff in seinem Haus durch eine unauffällige Öffnung über der Terrassentür vollständig erneuert; ein durch die Erde geführtes Rohr und ein Wärmetauscher sorgen dafür, dass die einströmende Luft kaum kälter ist als die, die entweicht. Und weil das mit Photovoltaikmodulen gepflasterte Dach mehr Strom erzeugt, als Schnürer und seine Frau verbrauchen, ist die Energiebilanz des Reihenhauses eindeutig positiv. „Ich schaue jetzt lächelnd zu, wie der Ölpreis steigt und steigt“, sagt der Pensionär.

Gleich nebenan im „Sonnenschiff“ befindet sich das Büro des Architekten Rolf Disch. Das sechsstöckige Wohn- und Geschäftshaus hat eine freundliche Fassade aus Glas, Metall und bunten Rechtecken und erzeugt ebenfalls mehr Energie, als es benötigt. „Es ist allein die Bremse im Kopf, die bisher verhindert, dass sich das als Standard ausbreitet“, sagt Disch. Auch dass seine Bauweise teurer sei als konventionelle Architektur, sei ein Vorurteil. Der da so gelassen spricht, ist überzeugt, dass sie bald überall verbreitet sein wird.

Auf der gegenüber liegenden Straßenseite beginnt der in den letzten 15 Jahren entstandene Stadtteil Vauban – früher eine Kaserne der französischen Armee. „Wir machen uns die Welt, wie sie uns gefällt“, hat jemand unter ein Bild von Pippi Langstrumpf an eine Hauswand gepinselt. Schilder informieren, dass hier Fußgänger die ganze Straßenbreite nutzen und Kinder überall spielen dürfen.

Hinter den gardinenlosen Fenstern der Eigenheime sieht es aus wie im Ikea-Katalog

Tatsächlich rollern, radeln und rennen überall Jungen und Mädchen im Kita- und Grundschulalter herum. Auf der zentralen Allee spuckt ab und zu eine Straßenbahn Fahrgäste aus, die dann in einer der Gassen mit den bunten, mehrstöckigen Häuserzeilen verschwinden. Auch für diese Gebäude gelten Heizgrenzwerte – wenn auch nicht sehr strenge. „Da wäre viel mehr drin gewesen, aber die Stadt hat einen Großteil der Straßen falsch orientiert“, kritisiert Energieplaner Andreas Delleske, der im ersten Mehrfamilienpassivhaus der Republik wohnt. Der rot-blaue Kasten mit großen Balkons im Süden und Außentreppenhaus im Norden wurde vor neun Jahren errichtet. Für Heizung und Warmwasser zahlen Delleske und seine beiden Mitbewohner jährlich weniger als 200 Euro.

Wer in Vauban ein Auto besitzt, muss für über 20.000 Euro einen Platz in einer der beiden Sammelgaragen kaufen. „Als wir vor zwei Jahren eingezogen sind und unseren Wagen eine Nacht vor der Tür stehen gelassen haben, hat man uns die Reifen zerstochen“, berichtet eine Mutter, die ihr Kind gerade bei der musikalischen Früherziehung abgeliefert hat. Doch abgesehen vom Versprechen „Viva la revolución“ an einem Sicherungskasten wirkt hier alles wenig radikal. Vielmehr riecht es nach Kleinfamilienidylle für jüngere Akademikerfamilien: Hinter den gardinenlosen Fenstern der Eigenheime sieht es aus wie im Ikea-Katalog.

Am Ende eines Gewerbegebiets direkt am Waldrand steht seit 1998 die Solarfabrik – ein ästhetischer Glasbau, der ebenfalls komplett mit erneuerbaren Energien betrieben wird. „Viele haben damals gesagt, die Pläne seien unrealistisch – aber das Gebäude funktioniert und ist nicht einmal teurer als konventionelle Bauten“, sagt die für Öffentlichkeitsarbeit zuständige Andrea Ocker. Durch eine Scheibe können Besucher die Herstellung von Photovoltaikmodulen beobachten: Ein Mann platziert eine milchige Folie auf einem Tisch, anschließend legt ein Roboter nach und nach Reihen aneinandergelöteter Solarzellen darauf ab. Ein anderer Arbeiter prüft jede einzelne Linie, bevor das aus sechs Materialschichten bestehende Sandwich in einer Maschine verschwindet, die wie ein riesiger Bügelautomat aussieht.

Während hier noch vieles mit der Hand gemacht wird, sind die beiden neuen Produktionsstätten der Solarfabrik viel stärker automatisiert. Schließlich wächst die Nachfrage nach Photovoltaikanlagen exorbitant, seit das Erneuerbare-Energien-Gesetz 2004 geändert wurde und deutsche Solarstromerzeuger einen guten Preis für die Einspeisung bekommen. Galten die Pioniere aus Freiburg vor ein paar Jahren noch als Spinner, so zeigen heute immer mehr rein wirtschaftlich kalkulierende Kunden Interesse. Schließlich ist Klimaschutz eine Investition, die sich rechnet. In Freiburg weiß man das schon lange.