Die scharfe Braut

Merowingischer Bruderkrieg on stage: Mit „Fredegunda“ beweist das Bremer Theater, dass barocke Opern besten Action-Stoff liefern. Der Aufwand der Inszenierung lohnt sich

Die einzelnen Buhrufe am Schluss gelten wohl dem königlichen Schlüpfer-Fetischismus. Im Bremer Theater wird eben nicht alle Tage der alte Sarah-O’Connor-Trick aus „Wetten dass“ zelebriert, Unterwäsche in Richtung Orchestergraben gekickt und der Orgasmus auf offener Bühne geprobt. Das Haus hat sich den barocken Leidenschaften geöffnet und mit Reinhard Keisers „Fredegunda“ erstmals seit fast einem Vierteljahrhundert eine Oper aus der Frühphase des Musiktheaters produziert.

Deren Personal ist gewöhnungsbedürftig. Ein satter Bass (Karsten Küsters), der König Chilperich heißt, nebst einer wahrlich scharfen Braut Fredegunda (Patricia Andress). Es ist sechstes Jahrhundert, merowinigscher Bruderkrieg. Da gibt es kein dekoratives Herumgestehe, keine schauspielerischen Alibi-Aktionen, wie sie in späteren Opernphasen üblich wurden. Was auf der Bühne geschieht, ist tatsächlich ein durch Musik verstärktes Schauspiel, das ursprüngliche „Dramma per Música“.

Regisseur Tilman Knabe nimmt diesen dem Genre innewohnenden dramaturgischen Ansatz auf, in dem er selbst bei Da-capo-Arien die szenische Entwicklung vorantreibt. Statt die narrative Stagnation der sich wiederholenden Gesangstexte für ein emotionales Vollbad zu nutzen bringt er die Geschichte voran. Während also Sigibert (Seth Keeton) zum x-ten Mal wiederholt, dass er zwischen Liebe und Tyrannenmord leider noch schwanke, haben ihn Bazinas (Nadine Lehner) Verführungsversuche längst durch verschiedenste Stadien der Entscheidungsfindung geleitet.

Auch wenn „Fredegunda“ Action pur ist, ein blut- und sexgesättigtes Machtspiel, bedeutet das keineswegs, dass der vokale Genuss zu kurz käme. Mit Eun-Kuyng Um präsentiert das Bremer Theater eine sehr bemerkenswerte Nachwuchs-Sängerin – die Koreanerin ist noch Studentin an der hiesigen Hochschule für Künste. Zwar sind ihre Rezitative nicht wirklich perlende Parlandi, aber bei den Arien trifft sie das vibratoarme Barocktimbre mit einer makellos-klaren Stimme, der selbst das vom Regisseur auferlegte ständige Rauchen auf der Bühne nichts anhaben kann.

Während Hamburgs Generalmusikdirektorin Simone Young die barocke Aufbauarbeit ihres Amtsvorgängers abrupt beendet hat, erlebt der Nordwesten derzeit eine Rebarockisierung seiner Spielpläne. Nicht nur der Oldenburger Generalintendant hat mit Vivaldis „Il Giustino“ ein beeindruckendes Startsignal geliefert, auch sein ebenfalls neu ins Amt gekommener Bremer Kollege will eine echte Barock-Schiene etablieren. Dass er sich dabei eines Werkes von Reinhard Keiser bedient, der lange an der Hamburger Oper am Gänsemarkt wirkte, könnte man angesichts der aktuellen Spielplanpolitik an der Elbe fast als Wink mit dem Zaunpfahl verstehen.

Aber auch die Oper ist eben ein extrem konjunkturabhängiges Geschäft: Nachdem „Fredegunda“ im Anschluss an ihre Uraufführung 1715 20 Jahre äußerst erfolgreich am Gänsemarkt lief, das als erstes deutschsprachiges städtisches Opernhaus lange Zeit ein entscheidendes Zentrum barocken Musiktheaters war, verschwand sie anschließend komplett von der Bildfläche. Die Bremer, die das Werk in Koproduktion mit dem Münchner Prinzregenttheater reanimiert haben, meinen es offenbar ernst mit ihrem Engagement für die „Alte Musik“. Das Orchester hat eigens einen Satz der etwas kürzeren Barock-Bögen für seine StreicherInnen geordert, vor allem haben sie sich mit Christoph Hammer einen musikalisch überzeugenden Experten der „historisch informierten“ Aufführungspraxis als Dirigenten geholt. Der Aufwand lohnt sich. HENNING BLEYL