: Lisa sagt
Wir sind jung, keiner versteht uns und alles verläuft nach Plan. Rund um das Label Sinnbus gruppiert sich ein interessanter Haufen neuer Bands und Musiker. Etwa I Might Be Wrong. Ein Porträt der Texterin, Sängerin und Gitarristin Lisa von Billerbeck
VON RENÉ HAMANN
Dauerbeschallung. Bald stehen neue Lärmschutzgesetze an, um die Bewirtung lärmiger Szenelokale zu schützen. Wie laut es in einem kleinen Café sein kann, das dazu noch relativ leer ist, merkt man spätestens, wenn man sich den Mitschnitt eines Gesprächs, das dort stattgefunden hat, anhört. Neben dem Grundrauschen, das ohnehin immer da ist, hört man zwei schüchterne Stimmen, die in einem breiten Geräuschfluss schwimmen, der im Wesentlichen von der (als live gar nicht so laut empfundenen) Musikbeschallung des Cafés herrührt.
Die Gaststimme auf dieser im Prinzip unhörbaren Minikassette stammt diesmal von Lisa von Billerbeck. Toller Name, der einer interessanten jungen Frau gehört, die in Ostberlin groß geworden ist, als Tochter der Journalistin Liane von Billerbeck. Dass Lisa aus einer Ostsozialisation stammt, merkt man auch an ihrer Lektüre. Sie hat ein dickes Buch mitgebracht, das Buch heißt „Frau Paula Trousseau“ und stammt von Christoph Hein. Den lesen im Osten alle, sagt sie, und im Westen fast niemand. Als Einstieg ins Hein’sche Werk empfiehlt sie aber „Horns Ende“ – das Buch über Trousseau muss sie noch selbst lesen. „Man kann mit Hein gegen alles sein, das macht seine Attraktivität aus“, ließ sich aus der Literaturredaktion der taz vernehmen, just das Buch, das von Billerbeck gerade liest, wurde als langweilig, gar frauenfeindlich gescholten. Vielleicht wird von Billerbeck das anders sehen, wer weiß.
Lisa von Billerbeck ist 23, studiert an der Kunsthochschule in Weißensee und ist Texterin und Sängerin der Band I Might Be Wrong. Deren Debüt ist im vorigen Herbst auf Sinnbus erschienen. Sinnbus ist ein kleines, vielversprechendes Label ebenfalls aus dem Osten der Stadt, das nach der Auflösung des Vertriebspartners Hausmusik ein paar Schwierigkeiten hatte, jetzt aber Ersatz gefunden hat. Sinnbus deckt die jüngere Generation Indiemusikfans ab, einer Generation, die für Morr Music zu jung ist und mit Hiphop nichts zu tun hat. Tatsächlich handelt es sich bei der Szene, die Sinnbus trägt, um einen verschworenen, vielleicht zu hermetischen Haufen, der wie Lisa oft Wurzeln in Karlshorst hat und entweder in Mitte, Prenzlauer Berg oder Friedrichshain wohnt. Junge Menschen aus Bildungsbürgerhaushalten ostdeutscher Provenienz, die meist irgendwas Geisteswissenschaftliches studieren und sich irgendwie ausdrücken wollen. Junge Leute, die in der DDR in die Kita gegangen sind und zur Schule schon in der Bundesrepublik.
Man trifft sich auf Konzerten, sagt Lisa. Von Bands, die man mag und von Bands, die man persönlich kennt. Das kann man natürlich inzestuös finden. Auch hier ist Harmonie eine Strategie. Von sich reden gemacht hat diese kleine In-Group der Berliner Indieszene aber schon länger, auch über den ehemaligen Todesstreifen hinaus. Maßgeblich daran beteiligt ist Tobias Siebert, der schon einiges wegproduziert hat und neben Gitarrenarm bei Delbo auch Kopf von Klez.e ist. Auch fürs Debüt von I Might Be Wrong ist er verantwortlich. Herausgekommen ist schlaue, leicht melancholische Popmusik, radiotauglich, catchy, aber nicht glatt. Sondern warm und bedürftig, was viel an den traurigen Texten und der wohltemperierten Stimme von Billerbecks liegt.
I Might Be Wrong haben sich nach einem Song von Radiohead benannt. Trotz Hamburger oder Berliner Schule und trotz Christoph Hein singt von Billerbeck englisch. Sie hat ein Jahr in England verbracht, sagt sie. Das hört man. Und wo kommt die Melancholie her? „Mir ging es in den letzten fünf Jahren öfter mal schlecht.“ Die Vorgeschichte der Platte hat auch einen dramatischen Aspekt. Eigentlich war das Debüt schon vor Jahren im Kasten, bis ein irreparabler Systemabsturz die meiste Arbeit zunichte machte. „Ich bin auch froh darüber, jetzt klingt die Platte so, wie ich sie mir vorgestellt habe“, sagt von Billerbeck. Damit kein falscher Eindruck entsteht: I Might Be Wrong sind zu fünft, die andere musikalische Hauptarbeit stammt von Andreas Bonkowski. Zwei weitere Jungs und eine Frau vervollständigen das Line-up.
Live ist das nicht immer zu ertragen. Liegt daran, dass man sich schnell alt fühlt im Publikum, weil die auf der Bühne so jung sind. Jung im Auftreten, jung im Wunsch nach Anderssein. Jung, weil sie eine traurige Naivität verbreiten und eine naive Traurigkeit. Auf Platte funktioniert das Rezept aber hervorragend. Da klingt von Billerbecks Stimme erwachsen, kühl und warm zugleich. Die Musik mag manchmal an die poppigeren Elemente von Radiohead oder The Notwist erinnern. Sie ist aber eigenständig genug, wie man nicht nur am Hit der Platte „Repeat Rewind“ hören kann.
Und wie fühlt sich dieses Jungsein von innen an? „Wir kommen aus einer Generation, der es erlaubt ist, Emotionen herauszulassen und breitzutreten“, sagt Lisa. „Wir haben neulich überlegt, was das Wort für unsere Altersstufe wäre. Wir sind wohl die Generation Therapie.“ Lisa selbst hat noch keine Therapie gemacht, im Gegensatz zu vielen ihrer jungen Freunde. Sie nutzt die Musik. Die Texte. Und die Zeichnungen, die sie auch für die CD gemacht hat, schließlich studiert sie Kunst.
I Might Be Wrong: „It Tends to Flow from High to Low“ (Sinnbus/Alive)