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Archiv-Artikel

Fünf Jahre, fünf Fraktionen

Schwarz-Gelb in Niedersachsen erklärt im Landtag die Regierungsarbeit bis 2013: Erst hält Wirtschaftsminister Hirche eine lange Regierungserklärung, dann dürfen sich die Parteien erstmals an den Parlamentsneulingen von der Linken abarbeiten

GEWERKSCHAFT LOBT WULFF

Die IG Metall hat Aussagen von Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) zur Zukunft der staatlichen Förderung für die Altersteilzeit begrüßt. In seiner Regierungserklärung, die FDP-Vize-Landesvater Walter Hirche gestern vertretungsweise hielt, sprach sich Wulff dafür aus, die Entscheidung, ob die Altersteilzeit weiter gefördert werde, „in aller Ruhe“ zu erörtern. Die große Koalition in Berlin will die Regelung 2009 auslaufen lassen. Er wolle zwar an der Rente mit 67 Jahren festhalten, heißt es in Wulffs Redetext. „Aber wir müssen schon berücksichtigen, dass es Arbeitnehmer gibt, die besonderen gesundheitlichen Belastungen ausgesetzt sind. Hier ist der Wunsch nach einem flexiblen Ausscheiden aus dem Beruf verständlich.“ IG Metall-Bezirkschef Hartmut Meine sagte, diese Aussagen seien ein „positives Zeichen“. Die vor der Landtagswahl mit Wulff begonnenen Gespräche zur Altersteilzeit müssten nun zügig fortgesetzt werden.  DPA

AUS HANNOVER KAI SCHÖNEBERG

„Sandmännchen trägt jetzt Krawatte“, witzelte es im Landtag, als Walter Hirche an diesem Mittwoch die Regierungserklärung für die nächsten fünf Jahre Schwarz-Gelb in Niedersachen hielt. Einige Parlamentarier sollen sogar weggenickt sein beim einschläfernden Hirche-Sprech. Moment: Hirche? Ja, der FDP-Wirtschaftsminister und Vize-Ministerpräsident war für den erkrankten Regierungschef Christian Wulff (CDU) in die Bütt gestiegen. 100 Minuten dauerte Hirches Rede durch die CDU-FDP-Pläne bis zum Jahr 2013. Puh, ganz schön lang, ächzte der Ersatzredner nach getaner Arbeit, er habe gehört, Fidel Castro spreche gar ganze sieben Stunden lang.

Puh, ächzten auch viele Parlamentarier nach Hirches Exkurs, ganz schön lang – vielleicht hätten auch zehn Minuten gereicht. „Ehrlich, unaufgeregt, verlässlich“ werde die Koalition regieren, versprach der Minister bierernst und betete Altbekanntes aus dem Koalitionsvertrag hinunter: Weiter so, Kontinuität und Konsolidierung lautet dort die Parole, wenig Neues wird künftig aus Niedersachsen zu hören sein, wenn man Hirches Regierungserklärung glauben mag. Interessant höchstens, was der 67-Jährige nicht aus dem Wulff-Manuskript verlas – zum Beispiel jene Passage über die Rente mit 67 (siehe Kasten).

Dafür fügte Hirche ein paar Worte über die frisch ins Parlament gewählte Linke hinzu. Der Ausschluss der DKP-Abgeordneten Christel Wegner aus der Linken-Fraktion sei nur „ein Formalismus“, so Hirche, er wolle die Aussagen der Parlaments-Neulinge in Zukunft „genau aufspießen“.

Überhaupt zog sich die noch ungewohnte Anwesenheit der Links-Fraktionäre durch alle Reden: Ohne ihren Namen zu nennen, warnte ein kämpferisch aufgelegter SPD-Fraktionschef Wolfgang Jüttner die Landesregierung davor, linke Parteien politisch und gesellschaftlich ernst zu nehmen: „Lassen Sie diese Ausgrenzungsdebatten“, sagte Jüttner, „das hilft uns allen miteinander nicht.“

Er sei geradezu „dankbar“, dass das später von den Linken ausgesonderte DKP-Mitglied Christel Wegner in einem Interview „die Maske hat fallen lassen“, als sie sich positiv zu Stasi und Mauerbau äußerte, sagte wiederum CDU-Fraktionschef David McAllister. „Unerträglich“ sei jedoch ein Aufsatz von Linken-Fraktionschef Manfred Sohn, in dem er von der DDR als dem „sozialeren und friedlicheren Teil Deutschlands gesprochen“ habe. Das sei „Geschichtsklitterung“ und „Verhöhnung der Opfer des Regimes“, wütete McAllister. Der von SPD-Parteichef Kurt Beck angestoßene „Kurswechsel“ im Umgang mit der Partei sei ein Skandal: „Wer die Linke so hochredet, macht sie fett.“

„Scheinheilig“ fand auch Grünen-Fraktionschef Stefan Wenzel die Überraschung, die über die Äußerungen Wegners bei den Linken gezeigt worden war. Viele Linken-Akteure würden die Ziele der DKP aus ihrer eigenen Zeit in der Kommunisten-Partei bestens kennen.

Eine Einladung für Manfred Sohn, wiederum auf die Grünen einzudreschen: Die schwarz-grüne Koalition, die Wenzel in seiner Heimatstadt Göttingen trage, betreibe „Sozialabbau“, sagte der Linken-Fraktionschef in seiner ersten großen Rede im Landtag. Der durch das Wahlergebnis geschwächten Regierung stehe nun eine „quantitativ wie qualitativ gestärkte Opposition gegenüber“. FDP und CDU hätten trotz Wahlsiegs über eine halbe Million Stimmen verloren, die Linken fast aus dem Nichts „fast eine viertel Million Wähler“ gewonnen. „Die“, so Sohn, „haben alle ein Gesicht – und tragen die Fahne der Linken“.