Bahn kaputt

Hausaufgabe entwertet

Zwei kleine Jungs am frühen Donnerstagnachmittag in der M 1. Die teuren Rucksäcke überragen die schmalen Kinderrücken. Sie zwingen die Träger in die gebückte Haltung von Möbelpackern. Sportbeutel bringen das Gepäck zudem in eine gefährliche Schieflage. Trotzdem turnen die Jungs an den Haltegriffen herum, drücken beim Fahrkartenautomaten auf alle Knöpfe und stecken Fetzen ihrer Mathehausaufgaben in die Stempelmaschine. Scheißkinder eben.

Ein älterer Mann mit Honecker-Hut guckt böse, eine Dame schüttelt milde den Kopf. Als das größere Kind gerade die Erhöhung zwischen zwei Sitzen erklommen und es sich dort gemütlich hat, macht die Straßenbahn mit Alarm eine Vollbremsung. Der Rückstoß schleudert ihn seitwärts von seinem Ausblick herunter. Der Rucksack rutscht ihm über den Kopf, der Sportbeutel knallt ihm ins Gesicht und reißt knirschend vom Rucksack ab. Gerade noch kann sich der Junge an einer Lehne festhalten. Nun liegt er bäuchlings über zwei Sitzen. Sein Kumpel ist bei dem Versuch, den Fahrkartenautomaten zu knacken, gegen eine Haltestange geknallt und guckt gequält. Die Dame atmet hörbar ein vor Schreck – vielleicht hat sie Enkel in dem Alter. Der Herr mit dem Honecker-Hut hustet vorwurfsvoll.

Die Jungs rappeln sich hoch, offenbar unverletzt. „Scheiße, Mann“, murmelt der Kleine, „jetzt haben wir die Straßenbahn kaputt gemacht!“ Alarmiert blicken die beiden in die Runde. „Ick war dit nich“, sprudelt der Große plötzlich los, „ehrlich, ick hab nischt jemacht!“ Mit einem Ruck setzt sich die Bahn wieder in Bewegung. An der nächsten Station ergreifen die Täter überstürzt die Flucht. Ein einsamer Sportbeutel bleibt zurück. Das gibt Ärger.

LEA STREISAND