: Tänze soll man tanzen
Und Feste feiern, wie sie fallen: Helena Waldmann & friends zeigen in den Sophiensælen ihre grandiose Arbeit „Feierabend – das Gegengift“
„It signifies nothing!“, verkündet eine Tänzerin, bevor sie vor einer kahlen Wand im Schwarzlicht zu tanzen beginnt. Es ist einfach nur ein Körper, der lebt.
Helena Waldmann ist bekannt dafür, politische Themen auf dem Feld des Körperlichen zu untersuchen. Aufsehen erregte 2005 ihre Arbeit „Letters from Tentland“, die sie in Teheran inszenierte. Ihre Performerinnen kamen in bunten Zelten mit Sichtfenster auf die Bühne, um von Freiheit zu erzählen. Die Parallele zum Schleier war so wenig zu übersehen wie – da Waldmanns Theater ein sehr tänzerisches ist – das Übertreten des Tanzverbots im iranischen Theater. Trotzdem boxte sie ein paar Aufführungen vor Ort durch.
Auch in ihrem neuen Stück „Feierabend – das Gegengift“ geht es um das Fehlen von Freiheiten, diesmal in Berlin. Feste fehlen, analysiert sie. Das Fest als Ausnahmezustand sei lebenswichtig. Im Fest, das sich Leistung, Funktionieren und der Sinnfrage verweigere, liege rebellische Kraft. Das Theater dürfe nicht vergessen, dass es dem Fest entstamme, wird uns zu Beginn erzählt. Da tragen wir alle bereits Tiermasken.
Die Regisseurin selbst scheint die Sprecherin dieser einstimmenden Informationen zu sein – doch es kommt eine männliche Stimme vom Band. Die verschiedenen Zeichensysteme des Theaters – Bewegung, Stimme, Licht, Ton etc. – auseinanderzupflücken und neu zusammenzusetzen, ist eines von Waldmanns Mitteln: die Männerstimme zum Frauenkörper.
Die Einleitungsrede klänge platt, würde sie nicht durch Aktion verifiziert: Nicht Theater passiert hier in den Räumen der Sophiensæle. Helena Waldmann und ihre sieben Tänzer haben zu einem Fest geladen. In kleinen Grüppchen werden wir miteinander bekannt gemacht und bekommen von unseren Gastgebern Schnaps.
Dann tritt ein Musiker mit einer Daf, einer iranischen Trommel, auf die Bühne, in einem Schafskostüm. Das Schaf gibt den Rhythmus des Festes vor. Die Tänzer singen „La vie en rose“, das Schaf trommelt. Keiner muss mittanzen oder mitsingen, aber über kurz oder lang erobert der Rhythmus einfach jeden Körper.
Ohne ein ausgelassenes Publikum würde hier allerdings nichts funktionieren – und wir alle haben diese peinlichen Momente erlebt, wo wir plötzlich im Theater zum Mitmachen überredet werden und uns doch nur lächerlich vorkommen. Hier ist es anders. Waldmanns Gefühl für Zeit, ihre Konsequenz, ihre Ausdauer, ihre Schlichtheit ermöglichen es den Darstellern, das Publikum tatsächlich in Bewegung zu versetzen. Wir schlagen mit edel verzierten Stöcken auf ein glitzerndes Paket ein, das von der Decke baumelt, und es ergießt sich ein Regen aus Konfetti, Luftballons und kleinen Papierchen über uns. Es steht der Text zu „La vie en rose“ darauf. Einzelne Tanzende werden von den Akteuren in den Zuschauerraum geführt. Aber sie sollen sich nicht auf die Stühle setzen, sondern darauf stellen, um besser sichtbar zu sein in ihrer Bewegung. Das ist Theater: das Zeigen des eigenen Körpers und das bewundernde Betrachten fremder Leiber in ihrer Virtuosität, ihrer Vitalität.
Andere Tänzer gruppieren sich um eine lange Tafel in den Zuschauerreihen. Eine Mitspielerin, die vorher wie im Rausch von einem Mann angegriffen wurde, nähert sich mit Stöcken als Krücken. Sie geht langsam, verkrümmt. Ihr langes Haar, ihr dünner, gebeugter Körper, die Stöcke, ihre Nacktheit auf der einen, die sorglosen Tänzer vor ihrer reich gedeckten Tafel auf der anderen Seite – ein nicht misszuverstehendes Bild: Während die einen feiern, leiden die anderen.
In diesem Bild aber befreit Helena Waldmann das Theater von seinen Pflichten als moralische Bildungsanstalt oder intellektuelle Diskursplattform und gibt es den Leibern, der Lebendigkeit, dem Fest zurück.
CORNELIA GELLRICH
In den Sophiensælen, wieder am 1. und 2. März, 20 Uhr