: Wenn Bewusstsein heilsam ist
Mediziner aus dem Reha-Bereich interessieren sich zunehmend für die heilsamen Auswirkungen der richtigen psychologischen Einstellung zur Krankheit. Reha-Kongress in Bremen hat großen Zulauf
Von KLAUS WOLSCHNER
Rund tausend Wissenschaftler, Ärzte und Psychologen sind in diesen Tagen zum Reha-Kongress nach Bremen gekommen, der damit sogar die Teilnehmerzahl des Kongresses in Berlin vor einem Jahr getoppt hat, freut sich für die Veranstalter der Direktor der Rentenversicherung (DRV) Oldenburg-Bremen, Christian Wolff. In dieser regionalen Versicherung sind rund 800.000 Menschen aus der Region, zumeist Arbeiter, versichert. Die Versicherung leistet sich nicht nur eine „Stiftungsprofessur“ an der Universität Bremen, sondern auch den 150.000 Euro teuren Kongress, denn die psychosomatische Forschung, davon ist Wolff überzeugt, „rechnet sich“, nach dem Motto „Reha vor Rente“.
Rein medizinisch ausgerichtete Reha-Maßnahmen haben oft geringe oder gar keine Effekte, das hat die Stiftungsprofessorin Petra Hampel mit ihrer Befragung bestätigt: Bei den von ihr befragten Rückenschmerz-Patienten konnten insbesondere die hoch belasteten Patienten ein halbes Jahr nach Ende der Reha kaum positive Effekte feststellen. Die Statistik wird von den Männern versaut – sie leiden nach der Reha oft mehr unter den Schmerzen als vorher.
Alles Psycho, sagt der Fachmann, aber die Einstellung zur eigenen Krankheit ist entscheidend, wenn die rein somatische Medizin wenig ausrichten kann. Der Schmerz produziert Aktivitäts-Mangel und gleichzeitig Psychostress und beides verstärkt den Schmerz – ein Teufelskreis. Um ihn zu durchbrechen, steht „Anti-Stress-Training“ auf dem Programm der Reha-Einrichtungen.
Für die Diabetes-Patienten hat zum Beispiel die Marbachtal-Klinik in Bad Kissingen ein reguläres „psycho-diabetologisches“ Reha-Programm entwickelt. Denn wer Diabetes hat, hat auch ein deutlich höheres Depressions-Risiko – und umgekehrt: Depressive haben allgemein ein höheres somatisches Krankheitsrisiko und ein 2,5-faches Diabetes-Risiko. „Psychologische Psychotherapeuten“ leiten daher die besondere Reha für Diabetes-Kranke in der Marbachtal-Klinik, über die auf dem Kongress in Bremen berichtet wurde, die Patienten sollen „Diabetes-Fachleute“ werden und das umfasst auch Themen wie „Buffet-Training“.
Das Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation an der Uni Bremen forscht gemeinsam mit der Rheumaklinik Bad Wildungen/Oldenburg über „Fibromyalgie“-Patienten. „Somatische Mediziner haben noch vor zehn Jahren gesagt, Fibromyalgie – das gibt es gar nicht“, sagt Aike Hessel, Ärztin der LVA Oldenburg/Bremen. Inzwischen sei die Psychosomatik eine akzeptierte medizinische Sichtweise. „Fibros“, wie Betroffene sich selbst nennen, leiden unter diffusen Schmerzen, Schlaflosigkeit, Depressionen, ohne dass Mediziner eine klare Ursache oder wenigstens eine erfolgreiche Therapie kennen. Theodora Gröning, eine betroffene Frau, die als Vertreterin von Selbsthilfegruppen zu dem Kongress gekommen war, berichtete, bei ihr sei anfangs ein „Münchhausen-Syndrom“ diagnostiziert worden, sie sei in die Psychiatrie gekommen. Es gibt für die Fibromyalgie diverse Therapie-Ansätze mit geringen Erfolgs-Quoten, die Krankenkassen zahlen vor allem für Psychopharmaka. Mehr als die Pillen haben Theodora Gröning am Ende die Entspannungs-Übungen geholfen – und die „Kältekammer“. Drei Minuten Schockfrieren in der Kühlkammer. „Wir Fibros tanzen darin manchmal“, berichtete sie, „und kommen richtig euphorisch heraus – fast wie high.“
Die Tagung widmet sich auch dem Problemen der Reha mit dem spezifischen Klientel der LVA Oldenburg/Bremen, Männern aus dem Arbeitermilieu. Unter der Überschrift „Gender-Mainstreaming“ in der Rehabilitation gibt es am Mittwoch einen Vortrag mit dem Titel: „Richtige Männer haben keine psychosozialen Probleme.“ Für die Rentenversicherung ist das ein Problem, weil mangelnde Sensibilität und mangelndes gesundheitliches Problembewusstsein oft zu Frühverrentung führt. Und da zahlt die Rentenversicherung lieber rechtzeitig eine genderspezifische „psychosoziale“ Reha.