: Wen der Blutegel beißt
Nicht als erstes, aber als einziges norddeutsches Krankenhaus unterhält das Bremer St. Joseph-Stift jetzt eine naturheilkundliche Klinik. Dort kommen Schröpfgläser und „Fieber-Zelte“ zum Einsatz
Von HENNING BLEYL
„Ziehen Sie sich doch Ihr Oberteil aus“, sagt die Bild-Fotografin zu Schwester Kirstin. Der Krankenpflegerin wird gleich ein fotogener Blutegel appliziert, da muss die Gesamtoptik stimmen. Das Medieninteresse ist verständlich: Bremen hat jetzt die einzige naturheilkundliche Klinik an einem norddeutschen Krankenhaus. Hier werden unter anderem Darmerkrankungen, Rheuma und Neurodermitis behandelt – alles von den Kassen bezahlt und für Akut-PatientInnen eingerichtet.
Dieses Alleinstellungs-Merkmal verdankt sich den Misserfolgen andernorts: Vergangenes Jahr wurde die auf Heilpflanzen spezialisierte Abteilung der Asklepios-Klinik in Hamburg-Ochsenzoll mangels Auslastung geschlossen. Vor zwei Jahren wurde zwar die Einrichtung eines Lehrstuhls für Chinesische Medizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf angekündigt, „aber das ist noch lange nicht in trockenen Tüchern“, sagt eine Sprecherin des Klinikums.
Auch die Bremer lassen Vorsicht walten. Zunächst beginnt der Klinik-Betrieb mit lediglich acht Betten. Mittelfristig könnten es 20 werden, sagt Geschäftsführer Torsten Jarchow, aber für die ersten drei Jahre rechne er ohnehin mit Verlusten bis zu 200.000 Euro jährlich. Chefarzt Andreas Bünz hütet sich auch in medizinischer Hinsicht vor allzu optimistischen Prognosen: „Mit dem Kopf unter dem Arm braucht niemand zu uns zu kommen.“ Bünz ist Facharzt für Innere Medizin, „komplementär“ zu konventionellen Therapien will er unter anderem klassische Homöopathie, ein Fiebertrainings-Zelt, Schröpfgläser und Pflanzenheilkunde zum Einsatz bringen – „wir machen aber nichts ideologisch Gefärbtes“.
Mit Pendeleien oder offensiv esoterischen Anwendungen hätte wohl auch der Osnabrücker Bischof seine Schwierigkeiten. Über den Bremer Probst hat er ein gewichtiges Wörtchen bei der Entwicklung des St. Joseph-Stifts mitzureden, das Haus ist in katholischer Trägerschaft. Es sei „lange und intensiv“ diskutiert worden, ob der naturheilkundliche Schwerpunkt zum konfessionellen Profil passe, sagt Jarchow. Aber die katholische Prägung des 500-Betten-Hauses ist ohnehin auf dem Rückzug. Seit Anfang des Monats ist die Pflegeleitung „erstmals in weltlichen Händen“, wie eine Sprecherin sagt – es gibt in Deutschland nicht mehr genügend Schwestern der traditionell hier tätigen Münsterischen Franziskanerinnen.
Allerdings sei naturheilkundlich orientiertes Pflegepersonal auch Mangelware, sagt Bünz. Bislang gebe es dafür keine spezielle Ausbildung. Eine der siebeneinhalb Bremer Kräfte, die durch Learning by Doing im Krankenhaus für Naturheilweisen in München-Harlaching eingearbeitet wurden, ist Schwester Kirstin, deren Blutegel nach einigem Zögern angebissen hat. „Das sind sensible Tierchen“, erklärt Bünz, sie seien aber auch sehr nützlich für einen entzündungshemmenden Aderlass. Zwar muss Schwester Kirstin jetzt sechs Stunden liegen bleiben – „aber für unsere neue Klinik setzen wir uns alle gerne ein“.