: Koalition der Schmerzen
Die Hamburger Grünen-Basis hat für Koalitionsverhandlungen mit der CDU gestimmt, doch die Diskussionen gehen weiter. Welche Auswirkungen würde ein Regierungsbündnis mit dem Feind von gestern haben? Ein Pro und Contra
MICHAEL OSTERBURG, 40, ist GAL-Fraktionsvorsitzender im Bezirk Hamburg-Mitte. Der Wirtschaftsingenieur arbeitet im Wahlkreisbüro der Hamburger Grünen-Chefin und Bundestagsabgeordneten Anja Hajduk.
Pro
Mit den Landtagswahlen zum Jahresbeginn wurde das über Jahrzehnte einbetonierte Parteiengefüge kräftig durcheinander gewürfelt. Die gewohnten Regierungskoalitionen aus dem konservativen Lager auf der einen Seite und dem sozial-ökologischen Lager auf der anderen Seite sind in Hamburg nicht mehr mehrheitsfähig. Es ist unwahrscheinlich, dass es sich hierbei um ein singuläres Ereignis handelt – die teilweise lieb gewonnen Lager werden sich immer mehr auflösen. Dies zur Kenntnis zu nehmen ist ohne Zweifel für alle schmerzlich. Denn aus dem politischen Gegner wurde über Nacht der potentielle Partner. Das ist nicht leicht zu verdauen.
Bei allen berechtigten Emotionen darf man aber nicht aus den Augen verlieren, dass es um die Durchsetzung grüner Inhalte gehen muss. Man ist schlecht beraten, wenn man die Koalitionen nach der Farbe und nicht nach ihrem Programm bewertet. In den vergangenen Jahren haben die Hamburger Grünen in der Schul-, Umwelt-, Verkehrs-, Energie- und Sozialpolitik tragfähige und zukunftsweisende Alternativen zur CDU-Senatspolitik entwickelt. Die Hamburger GAL hat einen engagierten, wenn auch nicht immer leichten Wahlkampf geführt, um grüne Ziele nach der Wahl so gut es geht umzusetzen.
Will die GAL gegenüber ihren Wählerinnen und Wählern glaubwürdig bleiben, muss sie auch nach der Wahl alles versuchen, um die Wirklichkeit grüner zu machen. Kaum einer wird die GAL nur ausschließlich deswegen gewählt haben, weil von ihr die SPD als Wunschpartner genannt wurde. Vielmehr haben die Wähler entschieden, dass ein rot-grünes Bündnis keinen Regierungsauftrag erhalten soll. Diesen Wählerwillen muss die GAL akzeptieren und sich deswegen auf die Suche nach anderen Bündnispartnern zur Umsetzung grüner Ziele machen.
Die CDU hat in den Sondierungsgesprächen offensichtlich deutliche Signale ausgesandt, dass sie bei wesentlichen Politikfeldern bereit ist, grüne Positionen mitzutragen oder akzeptable Kompromisse auszuhandeln. In den Koalitionsverhandlungen muss sich jetzt im Detail zeigen, dass es sich dabei nicht nur um unverbindliche Ankündigungen gehandelt hat.
Die GAL wird sicherlich nicht alle ihre Forderungen umsetzen können. Dies ist schon allein der Rolle als Juniorpartner geschuldet. Wer glaubt, dass dies bei der SPD anders gewesen wäre, befindet sich aber auf dem Holzweg. Wie ein Mantra wird gerne betont, dass es in der Politik vorrangig um Inhalte gehen solle. Die GAL hat jetzt die Chance zu beweisen, dass es ihr damit auch Ernst ist. MICHAEL OSTERBURG
Contra
In den letzten Wochen vor der Wahl haben wir argumentiert: „Die Option Schwarz-Grün ist eine von den Medien aufgezwungene Diskussion, nicht unsere.“ Und: „Die inhaltlichen Differenzen sind durch die Entscheidungen der CDU in den letzten Wochen noch weiter gewachsen und deutlicher hervorgetreten“, deshalb seien wir der Meinung, „dass die inhaltliche Basis für Koalitionsverhandlungen mit der CDU nicht ausreicht“.
Nach einem einzigen Sondierungsgespräch sind wir nun bereit, unsere bisher verkündeten Einschätzungen bereitwillig über Bord zu werfen. Bisher hat uns die CDU lediglich ein paar „Grüne Leuchttürme“ in Aussicht gestellt, fast immer eingeschränkt durch ein „möglicherweise“ und „sind wir bereit zu prüfen“.
Zu Recht haben wir diesen Senat für seine Politik der sozialen Spaltung der Stadt kritisiert. Auch wenn die jetzt gemachten Angebote möglicherweise über das hinausgehen, was mancher erwartet hat, fürchte ich, dass es uns damit nicht gelingen wird, spürbar positiv Einfluss auf die Lebenswirklichkeit in dieser Stadt zu nehmen, die sich dank der Politik des CDU-Senats in den letzten Jahren für viele Menschen verschlechtert hat. Zu Recht werfen uns jetzt unsere Wählerinnen und Wähler Täuschung und Betrug vor. Wir, die wir uns als Direktkandidatinnen, Funktionsträgerinnen oder als motivierte Wahlkampfakteure gezeigt haben, werden täglich darauf angesprochen und verzeichnen Partei-Austritte.
SUSANNE EGBERS, 46, ist stellvertretende GAL-Fraktionsvorsitzende in der Bezirksversammlung Hamburg-Eimsbüttel. Egbers arbeitet bei einer Berufsgenossenschaft als Fachreferentin für Rehabilitation.
Ich bin immer stolz gewesen, einer Partei anzugehören, der noch Eigenschaften wie Ehrlichkeit, Glaubwürdigkeit und Moral zugesprochen wurden. Dass das so ist, wissen wir aus den vielen persönlichen Gesprächen. Das haben auch die vielen Wahlkreismandate gezeigt, die wir errungen haben. Dieses Vertrauen beginnen wir schon jetzt zu verlieren und werden es unwiederbringlich verlieren, wenn wir uns ernsthaft weiter mit einer Koalitionsoption mit der CDU befassen. Ich finde es fahrlässig, dieses Vertrauen aufs Spiel zu setzen.
Die CDU riskiert mit einer schwarz-grünen Koalition nicht besonders viel, während wir große Risiken eingehen. Wir leiten mit einem solchen Schritt eine strukturelle Veränderung der Partei ein. Wir nehmen in Kauf, einen erheblichen Teil unserer Stammwählerschaft und nicht zuletzt auch engagierte und langjährige Mitglieder dauerhaft zu verlieren. Und das alles tun wir, ohne überhaupt angefangen zu haben, über die weitere Ausrichtung und eventuelle andere Mehrheitsoptionen zu diskutieren. Anstatt uns vorwärts gewandte Gedanken über die Entwicklung neuer Mehrheitsoptionen jenseits der CDU zu machen, greifen wir zur ersten Gelegenheit, die sich uns bietet, um wieder in die Regierungsbeteiligung zu kommen.
Ich möchte nicht, dass die GAL diesen Schritt geht. Und ich glaube auch nichtdass wir davon profitieren können. SUSANNE EGBERS