: Dänischer Himmel über Italien
Vom „Goldenen Zeitalter“ zum Skagener Impressionismus: Das Altonaer Museum in Hamburg zeigt dänische Malerei des 19. Jahrhunderts. Die beschritt einen Weg der Neuerung – aller politischer und wirtschaftlicher Verheerung zum Trotz
Es ist, auf den ersten Blick, überraschend, dass Kunst ausgerechnet in Zeiten politischen und wirtschaftlichen Niedergangs speziell gefördert wird. Dass Kunstakademien florieren, deren Lehrer dann einem „Goldenen Zeitalter“ den Weg bereiten. Doch im Dänemark des 19. Jahrhunderts, dem jetzt eine Ausstellung im Altonaer Museum Hamburg gilt, war es so: Genau zu einer Zeit, als der Staat Dänemark kurz nach seinem Staatsbankrott von 1813 Norwegen und Helgoland abtreten musste, schuf Christoffer Wilhelm Eckersberg das Genre der Naturstudie. Konsequent begann er von seinen Schülern eine Akribie einzufordern, die für die bis dato gepflegte idealisierende Landschaftsmalerei nicht gegolten hatte.
Soweit das Handwerkszeug; Detailtreue und exakte Perspektive inklusive. Doch die Schüler wollten mehr. Es reichte ihnen nicht, im Freien zu malen: Sie wollten weg, nach Italien zum Beispiel. Wollten das Licht des Südens und seine Menschen malen. Heraus kamen dekorative Gemälde, deren Himmel allerdings den Sonneneinfallswinkel in Dänemark spiegelt – in jenem „dänischen Blau“, von dem nicht nur der Sammler schwärmt, der nun Arbeiten für die Ausstellung auslieh.
Das Kopenhagener Publikum indes quittierte die Italien-Bilder der Rückkehrer zunehmend mürrisch. Nationale Motive wurden verlangt, und das nicht zufällig in einer Zeit, in der auch in Dänemark die Nationalbewegung erstarkte. Also malten die Künstler fortan Jütlands Dünen oder stiegen ins norwegische Gebirge. Aus italienischen Fischern wurden dänische – und schon war sie da, die dänische Variante der Nationalromantik, die ursprünglich von Norwegen ausgegangen war.
Das Resultat all diesen Strebens ist aus kunsthistorischer Sicht durchwachsen. Abgesehen von Erik Henningsen und Jens Thomsen Jensen haben die meisten nun gezeigten Maler brave Blätter geschaffen, nur vereinzelt findet sich Innovatives: Sofie Holten etwa hat eine Holzfällerin gemalt – ein seltenes Motiv, erfunden in einem Land, das 1915 als eins der ersten in Europa das Frauenwahlrecht einführte. Gelegentlich flackert, vielleicht auch nur zufällig, Sozialkritik auf: In Michael Therkildsens „Bauernstube“ etwa, in der zwei erschöpfte Frauen in der Düsternis arbeiten. Oder in Anders Christian Terløses „Einsamer Mann“, dessen Porträt ist weder dekorativ noch larmoyant, sondern pragmatisches Dokument.
Dokumentieren oder Nationalstolz befördern – all das wollten die im letzten Viertel der Hamburger Ausstellung präsentierten Skagen-Maler nicht. Sie wollten frei mit Licht und Farbe umgehen und suchten allgemein neue Themen. Die fanden sie im zuvor unbekannten nord-jütländischen Fischerdorf Skagen, in dem sich um 1880 eine Künstlerkolonie um das Ehepaar Ancher, Peter Severin Krøyer und Christen Købke bildete. Sie alle malten mit freiem, schon deutlich impressionistischem Duktus fast abstrakte Landschaften und dichte Porträts. Und wenn sie doch einmal die am Ufer wartenden Fischerfrauen auf Papier oder Leinwand brachten, dann nicht, um harte Arbeit zu dokumentieren. Sondern eher, um eine Variante von Leben festzuhalten – spielerisch und stets distanziert. Der Grat zwischen Motivsuche und Voyeurismus war schmal; in Skagen ausgestellte Bilder zeigen die Kluft zwischen Künstlern und Einheimischen.
Die Ausstellung thematisiert solche Probleme nicht – und kann es auch nicht: Sie ist bestückt aus zwei Privatsammlungen, nicht aber mit Leihgaben aus Skagen. Aber, den Quantensprung vom „Goldenen Zeitalter“ zu den Skagenmalern zu demonstrieren, dazu taugt sie zweifellos. PETRA SCHELLEN
„Von Kopenhagen nach Skagen – Dänische Malerei 1830–1910“: bis 2. 11., Altonaer Museum/Jenisch-Haus, Hamburg