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Archiv-Artikel

Endlich Ruhe in der AB-Zone

Nie wieder öffentlicher Nahverkehr. Die BVGler wären schön blöd, wenn sie je aufhören sollten zu streiken. Und wir können schon mal anfangen, uns an unsere letzte U-Bahn-Fahrt zu erinnern. Es wird keine mehr dazukommen

Richtig schwer ist es für Dealer und Kiffer. Denen hat der BVG-Streik von einem Tag auf den andern ihre Lebensgrundlage entzogen. Die Dealer verbuddeln ihr Zeug zwar immer noch in den Rabatten vor unserm Haus, können sich aber nicht mehr in der U8 mit den Kunden verabreden. Beinahe hätte ich die Qualität des Stoffs selbst überprüft – aber schwarzrauchen wird in Kreuzberg hoch bestraft. Schwarzfahren kann man ja fast nicht mehr. Als romantischen Abschied von der U-Bahn bin ich einen Tag vorm Streik von meinem Zahnarzt aus bis Wittenbergplatz „ohne“ gefahren. Da ahnte ich noch nicht, dass das wohl die letzte U-Bahn-Fahrt meines Lebens war. Denn die geschundenen BVGler werden nicht so blöd sein, je wieder einen Berliner transportieren zu wollen. Sie haben ja auch so genug zu tun. Müssen morgens um drei zum Busdepot und verhindern, „dass Fahrer, die nicht organisiert sind, die Bushöfe stürmen“ (eine Busfahrerin in der taz vom 10. 3.). So verhindern die aufrechten Ver.disten den Diebstahl ihrer Busse durch Billigfahrer von Berlin-Transport. Der BVG-Tochter, deren Ausbeutungsverträgen die gut versorgten Alt-BVGler seit Jahren ohne Protest zusehen.

Streik muss medial vermittelt noch stressiger wirken als arbeiten plus an der Endstation noch 19 Minuten BZ-Lesen, deshalb verschanzen sich die BVGler pünktlich zu Schichtbeginn mit ihren Privatautos bei Kaffee und Stullen in den Betriebshöfen, bereit zur letzten Schlacht. Sie könnten sich natürlich auch mit Flugblättern an die verschlossenen U-Bahn-Eingänge stellen und ihre Forderung mit Monatskartenbesitzern diskutieren. Die fahren derweil mit verrosteten Rädern aus dem Keller rum. Lustig vor allem Neuradler, die ihren Sattel nicht verstellen können und Ampeln beachten. Am Südstern bin ich gestern ins Schutzblech eines feigen Ex-U-Bahn-Kunden und Bei-Rot-Anhalters gekracht.

Ich finde den Streik gut, aber nicht aus Solidarität, sondern weil man jetzt im Möbel Olfe endlich wieder Platz hat. Und weil es toll ist, aus dem Billig-Franchise-Griechen Romiosini am Halleschen Tor bei einer Athen-Platte aus dem Fenster auf die Hochbahn zu starren und den ganzen Abend immer wieder zu denken: War das wirklich noch letzte Woche, als da oben diese angeblich sonnengelben Züge langratterten?

Nächstes Jahr werde ich mich als Zeitzeuge bewerben und in Schulen erzählen, wie es damals war, als die Tunnel unter der Stadt noch bevölkert waren mit netten, lächelnden Menschen, die von anderen für viel zu wenig Geld rumkutschiert wurden. Und die Kinder werden ungläubig Fragen stellen, wenn Opa dann erzählt, wie ganz ganz früher in Ostberlin die Züge durch Geisterbahnhöfe mit Soldaten im Abfertigerhäuschen schlichen.

Richtig schön ist es jetzt an den Wendestellen der Straßenbahnen. Menschen mit VBB-rot-weißen, handbemalten Schildern mit zwei Pfeilen drauf trampen nach „Mendelssohn-Bartholdy-Park“. Meine Lieblingsendstation ist die verödete Beton-Schienenfläche hinterm nie fertig werdenden SEZ an der Landsberger Allee. Fassungslos starrt man auf die Leere, die begrenzt wird von einem kaputten, unbewohntem Eckhaus, der verrotteten Eisbahn des SEZ, auf der Klimaanlagenteile dösen, und der Rückfront des Krankenhauses. Ein relaxter Mann in blauen Sachen auf einer Bank in der Sonne blinzelte mir zu. Es war mein 29er-Bus-Fahrer, der mich auch mit abgelaufenen Fahrscheinen mitnimmt. Er genoss heimlich seinen Streiktag und flüsterte: Wusstest du, dass wir beschlossen haben, nie wieder zu fahren? ANDREAS BECKER