: Autobahn entvölkert die Küste
Forscher halten Fernstraßenbau für ein falsches Mittel der Wirtschaftsförderung: Er locke die Menschen in die Ballungszentren. Bürgerinitiativen gründen Klagefonds gegen die Autobahn 22
Die Küstenautobahn soll einen geplanten neuen Elbtunnel bei Stade via Wesertunnel mit der A 28 westlich von Oldenburg verbinden. Noch steht nicht fest, wo genau die neue Autobahn entlang führen wird. Die Bürgerinitiativen hoffen daher auf regen Zuspruch zum Schutz- und Klagefonds, mit dem der Rechtsstreit gegen die Piste geführt werden soll. Gegründet wird der Fonds am 26. März im Schützenhof Jaderberg und tags darauf im Gasthaus Plate in Wollingst (Beverstedt), jeweils ab 19.30 Uhr. TAZ
VON GERNOT KNÖDLER
Während Wirtschaft und Politik für den Bau der Küstenautobahn A 22 werben, gibt es in der Wissenschaft Zweifel, ob der Straßenbau sich für die betroffenen Landstriche lohnt. Für die regionale Wirtschaft könnte es besser sein, das Geld in Glasfasernetze oder Forschungseinrichtungen zu stecken statt in Asphaltpisten, sagt Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum Berlin (WZB). „Das sollte diskutiert werden.“
Die Bürgerinitiativen gegen die A 22 bereiten sich gerade auf eine neue Eskalationsstufe vor. Vergangenen Herbst entfachten sie Mahnfeuer entlang der geplanten Trasse. Sie schrieben körbeweise Stellungnahmen zum Raumordnungsverfahren, die gerade ausgewertet werden. Jetzt wollen sie vor Gericht ziehen. Nach Ostern wollen sie einen Klagefonds gründen, der es ermöglichen soll, einen langwierigen Rechtsstreit gegen die Autobahn auszufechten.
Die Küstenautobahn sei ein wichtiger Teil der europäischen Magistrale vom Baltikum nach Westeuropa, wirbt das niedersächsische Ministerium für den ländlichen Raum. Sie entlaste die Ortsdurchfahrten und erleichtere den Zugang zu den Häfen. „Zusätzlich verbessert die A 22 die Anbindung der strukturschwachen Regionen an der nordwestdeutschen Küste deutlich“, behauptet das Ministerium.
Gerade dieser Effekt, mit dem die Autobahn den Menschen schöngeredet werden soll, die mit ihr leben müssen, ist allerdings zweifelhaft. Knie und sein Kollege Wolfgang Canzler, die gemeinsam das Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel in Berlin betreiben, haben nicht beabsichtigte Nebeneffekte von Autobahnen, Schnellstraßen und schnellen Schienenverbindungen erforscht. „Es tritt ein Rutschbahneffekt ein“, sagt Knie.
Demnach führen in wirtschaftlich schwachen, dünn besiedelten Gegenden gut ausgebaute Verkehrswege dazu, dass die jungen und dynamischen Menschen abwandern. In Ostdeutschland sind das oft die jungen Frauen. Sie hängen zwar an ihrer ländlichen Heimat, die guten Verkehrsverbindungen machen ihnen jedoch das Pendeln leicht, bis sie schließlich ganz in der Stadt bleiben. Knie: „Mit dem Ausbau der Infrastruktur entwickeln sich keine wertschöpfenden Gewerbegebiete, sondern es verschiebt sich die Bevölkerung in die boomenden Gebiete.“
Nach einer Studie des ökologisch ausgerichteten Verkehrsclubs Österreich (VCÖ) haben vom Ausbau des Verkehrsnetzes in den vergangenen Jahrzehnten nicht die ländlichen Regionen profitiert, sondern die Ballungsräume. „Wenn der wirtschaftlich attraktivere Zentralraum näher rückt, zieht er Investitionskapital und damit Wirtschaftskraft aus der Region an“, schreibt der Autor der Studie, Wolfgang Rauh. So habe die Zahl der Arbeitsplätze im Salzburger Umland nach dem Autobahnbau abgenommen, während sie in der Stadt zunahm.
Der VCÖ weist darauf hin, dass in vielen EU-Ländern der Verkehr stärker wächst als die Wirtschaft. Weil das Verkehrsnetz ohnehin dicht sei, nütze es der Wirtschaft vergleichsweise wenig, wenn noch eine Straße dazukomme. Auch die norddeutsche Küstenautobahn von der Elbe zur Weser wäre gleichermaßen nah an der A 1 und der A 27.
„Dass beim Bau von neuer Infrastruktur mittelfristig Arbeitsplätze geschaffen werden, ist ein Mythos“, schreibt Rauh. „Die kurzfristige Wirkung kann strukturelle Mängel nicht zudecken.“ Geld, das in volkswirtschaftlich unrentable Infrastruktur gesteckt werde, fehle für nützlichere Investitionen. In Thüringen habe ausgerechnet die Region, die am weitesten von der Autobahn entfernt sei, die höchste Wirtschaftskraft.
Matthias Gather, Professor für Verkehrspolitik an der FH Erfurt, hält die Wirtschaftsförderung per Straßenbau für Hilflosigkeit: „Man weiß einfach nicht, was man den Regionen sonst anbieten soll.“