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Archiv-Artikel

Kampf um die Energiewende

Während politischer Widerstand reihenweise geplante Kohlekraftwerke in Frage stellt, malt die Industrie die Gefahr einer „Stromlücke“ an die Wand. Zuletzt hat sich die halbstaatliche Energieagentur Dena so geäußert

EMDEN SAGT NEIN

Wilhelmshaven, Hamburg, Emsland – überall in der Nähe gibt es Pläne für den Bau von Kohlekraftwerken. Emden sagt Nein. „Das wollen wir nicht haben, zumindest nicht auf dem Stand der Technik von heute“, betont Oberbürgermeister Alwin Brinkmann (SPD). Wenn schon ein Kohlekraftwerk, dann eines, bei dem der Kohlendioxidausstoß Richtung Null geht. Die Hafenstadt ist im Landesraumordnungsprogramm für einen Kraftwerksbau vorgesehen. Der dänische Energiekonzern Dong Energy plant einen Kohlemeiler mit 800 Megawatt Leistung. Er soll zwischen 2012 und 2015 entstehen. TAZ

VON GERNOT KNÖDLER

Der Kampf um die künftige Gestalt unserer Energieversorgung spitzt sich zu. Angesichts des Widerstands, der vielerorts den Plänen entgegenschlägt, Kohlekraftwerke zu bauen, warnt die Industrie vor einer drohenden Unterversorgung. Am Montag hat auch die halbstaatliche Deutsche Energieagentur (Dena) auf die Gefahr einer „Stromlücke“ hingewiesen und eine Laufzeitverlängerung für Kraftwerke gefordert. Umweltschützer und Vertreter der Alternativ-Energie-Branche sehen das anders. Sie befürchten, dass die bisherige Versorgungsstruktur in Zement gegossen werden soll.

Landauf, landab wird zurzeit der Bau fossiler Großkraftwerke in Frage gestellt. Der Oberbürgermeister von Emden, Alwin Brinkmann (SPD), teilte gestern zum Thema Kohlekraftwerk mit: „Das wollen wir nicht haben.“ Der Plan, ein Steinkohlekraftwerk in Bremen zu bauen, ist gescheitert. In Brunsbüttel wehren sich Bürgerinitiativen gegen die Kraftwerkspläne, und in Hamburg ist das geplante Kohlekraftwerk Moorburg ein Knackpunkt der Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und Grünen.

Bei einem Treffen von Kanzleramtsminister Thomas de Maizière mit den Chefs mehrerer Energie- und Industriekonzerne hat die Dena nach Angaben der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) eine Studie vorgelegt. Demnach wird „bereits ab 2012 nicht mehr genügend gesicherte Kraftwerksleistung zu Verfügung stehen, um die Jahreshöchstlast zu decken“. Bis 2020 werde die Lücke auf 11.700 Megawatt wachsen. Das entspricht der Leistung von 15 großen Kraftwerken.

Bei dieser Prognose sei die Dena von den Plänen der Bundesregierung zum Klimaschutz ausgegangen. Sie unterstellen, dass die Energieeffizienz bis 2020 verdoppelt und die Nutzung der Kraft-Wärme-Koppelung und der erneuerbaren Energien kräftig vorangetrieben wird. Trotzdem, so die Dena, bleibe eine Lücke. „Eine Laufzeitverlängerung der Kernenergienutzung um 20 auf dann durchschnittlich 52 Jahre würde diese Differenz je nach Szenario um zehn bis 15 Jahre verzögern“, zitiert die FAZ.

„Mit dieser Studie hat sich die Dena auf die Seite der Kohle geschlagen“, sagt Karsten Smid von Greenpeace. „Es gibt keine Stromlücke, sondern eine Denkblockade bei den Energieversorgungsunternehmen.“ 2007 hätten fünf Atomkraftwerke stillgestanden. Trotzdem habe Deutschland Strom exportiert. Smid interpretierte die Kernaussage der Studie als Zeichen dafür, dass sich der Streit um den künftigen Kurs in der Energieversorgung verschärfen wird.

„Das Symbol dafür ist Hamburg-Moorburg“, findet er. Das Kraftwerk sei zu groß, um alle Wärme als Fernwärme nutzen zu können. Vattenfall als Betreiber in spe mache haltlose Versprechungen über eine zukünftige Abscheidung des Kohlendioxids aus den Kraftwerksabgasen.

Grundsätzlich geht es darum, ob Deutschland seinen Strombedarf künftig aus vielen kleinen Kraftwerken beziehen wird oder ob weiterhin einige Dutzend Großkraftwerke den Energiemarkt dominieren. Greenpeace und die Lobbyisten der erneuerbaren Energien gehen davon aus, dass sich die in den nächsten Jahren vom Netz gehenden Atom- und Kohlekraftwerke ersetzen lassen.

In den vergangenen Jahren seien jeweils mehr als zehn Milliarden Kilowattstunden aus erneuerbaren Quellen durch deutsche Energieerzeugung hinzugekommen, sagt Björn Klusmann vom Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE). „Das ist mehr, als ein Atomkraftwerk produziert.“ Wenn überhaupt Großkraftwerke gebaut werden sollten, dann Gaskraftwerke. Diese ließen sich am effizientesten betreiben. Außerdem könnten sie so schnell angefahren werden, dass sie Schwankungen bei der Stromerzeugung aus Wind und Sonne ausgleichen können.

Sorgen um eine Abhängigkeit von wenigen Gaslieferanten könne man begegnen, indem man mehr Wärme mit erneuerbarer Energie erzeuge, argumentiert Klusmann. Damit würde Gas, das bis dato verheizt werde, für die Stromerzeugung frei, ohne dass der Verbrauch stiege.

Ulf Gerder vom Bundesverband Windenergie (BWE) hält es für unnötig, solche Regelkraftwerke zu bauen. „Das Konzert der erneuerbaren Energien stellt die Grundlast immer bereit“, behauptet er. Weht der Wind nicht, scheint die Sonne oder Biogasöfen müssen stärker bullern. Die Möglichkeiten der Speicherung von Energie stünden erst am Anfang ihrer Entwicklung. Das Potenzial der Windenergie auch an Land werde, ebenso wie das anderer erneuerbarer Energiequellen wie der Geothermie, unterschätzt. „Wir sind überzeugt, dass Deutschland bis 2020 100 Prozent des Stroms mit erneuerbarer Energie produzieren kann“, sagt Gerder.