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Archiv-Artikel

Da traben sie wieder

Spielfreude: Die Künstler von „Inges Idee“ recherchieren schon mal in einer Spielwarenabteilung für ihre Werke im öffentlichen Raum. Kleine Werkschau im Projektraum des Deutschen Künstlerbundes

VON RONALD BERG

Ein überdimensionaler Schneemann steht inmitten von Palmen in Singapur, ein riesiger Gartenzwerg mit einer auf 16 Meter aufsteigenden Zipfelmütze hockt in Tokio. Angezettelt und ausgeführt wurden diese Kunst-am-Bau-Projekte von der Berliner Gruppe „Inges Idee“, die zuletzt Mitte März in Berlin-Köpenick zwei „Wilde Pferde“ aus Bronze über den Schlossplatz der Altstadt schickte.

Wer Inge ist und ob es sie überhaupt gibt, ist eher unklar. Fest steht nur, dass unter dem Namen „Inges Idee“ ein vierköpfiges Männerkollektiv existiert, das sich für Kunst-am-Bau-Projekte zusammengefunden hat. „Inges Idee“ wird von Hans Hemmert, Axel Lieber, Thomas A. Schmidt und Georg Zey gebildet, von denen jeder Einzelne sich als Bildhauer und Konzeptkünstler einen guten Ruf erworben hat. Bei den öffentlichen oder privaten Aufträgen hat Teamwork echte Vorteile: Die Viererrunde simuliert schon mal im Kleinen jene Öffentlichkeit, in der sich das Kunstwerk später bewähren muss, und diskutiert im Quartett die jeweilige Idee.

Korrektur, Kritik und Produktion innerhalb der Gruppe funktionieren offenbar sehr gut. Seit 1993 ist „Inges Idee“ mit über vierzig realisierten Projekten sehr erfolgreich. Grund genug für den Deutschen Künstlerbund, „Inges Idee“ als Experten für die Kunst im Stadtraum in seinen Projektraum zu bitten. „Wir zeigen, wie wir arbeiten“, meinen Hemmert und Zey beim Treffen in den Ausstellungsräumen. Ein Querschnitt aus zehn Jahren wird mit einigen Dutzend Modellen und Objekten präsentiert, die kaskadenartig auf Tischen angeordnet sind. Es gibt eine große Wandzeichnung, und sogar das aus Styropor modellierte Hinterteil eines der Pferde aus Köpenick im Maßstab 1:1 hält sich, von einem Seil gestützt, auf zwei Beinen aufrecht.

In Köpenick waren der Berliner Senat, der Bezirk und der Verein „Stadtkunstprojekte“ die Auftraggeber. Die so hintersinnige wie ironische Idee für die „Wilden Pferde“ ist typisch für die Vierergruppe: Die originalgetreu wiedergegebenen Rosse stammen von den Denkmälern des Alten Fritz Unter den Linden und vom Großen Kurfürsten vor dem Schloss Charlottenburg. Ohne die reitenden Herrscher und ohne Sockel traben die Bronzetiere befreit durch die Köpenicker Altstadt.

Das wohlgeformte Hinterteil, das als Pars pro Toto in den Projektraum des Künstlerbundes gewandert ist, zeigt, dass bei „Inges Idee“ ausgebildete Bildhauer zu Werke gehen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass der Sinn fürs Skulpturale beim Künstlerquartett das Alltägliche mit einbegreift. So lassen sich die Künstler gerne von der Spielwarenabteilung im Kaufhaus inspirieren. Beim Blick in die aktuelle Ausstellung zeigen sich tatsächlich Legosteine, ein Hund mit Wackelkopf, kleine Tierfiguren oder ein Badewannenschiff.

Letzteres fungiert als Referenzmodell für ein auf zehn Meter vergrößertes Original. Im Jahr 2002 wurde es auf der Wiese vor der Marinetechnikschule Parow verwirklicht. Täglich müssen hier die Matrosen am hellblauen Riesenbaby-Boot vorbeimarschieren. Der Kommandeur der Kaserne war über die künstlerische Reflexion zum Begriff des „Kriegspielens“ nicht begeistert, wurde jedoch in der Auswahljury überstimmt.

Nicht selten stehen Kunst, deren Nutzer und die Öffentlichkeit in einem Spannungsverhältnis. Nicht zuletzt deshalb fertigen „Inges Idee“ ihre Arbeiten vandalismussicher. Sie schützt aber oft auch, dass ihre Entwürfe teils einen durchaus praktischen Nutzen haben. Etwa der an einen Hausgiebel angebrachte knallrote Balkon, die Bänke entlang einer Promenade auf einem Hochhausdach oder selbst das wie ein nasses Handtuch auf ein welliges Terrain gelegte Basketballfeld in einer Münchner Schule: Das stellt eben nur etwas höhere Ansprüche an die Spieler. Denn es ging bei dem ungewöhnlichen Spielfeld um Kunst und nicht um die Anlage eines Sportplatzes.

Auf die Idee kommt es an. Das zeigt ja schon der Name der Künstlergruppe. Schließlich sind das Entwickeln der passenden Idee und deren sprachliche Konkretion die wesentliche Arbeit bei den periodischen Treffen der Viererbande. Und der Erläuterungstext ist bei der Einreichung von Wettbewerbsentwürfen mindestens genauso wichtig wie der eigentliche Entwurf. Dessen Realisation, ob organisatorisch oder handwerklich, macht dann der, der bei „Inges Idee“ gerade Zeit hat.

Am Ende bewirken ihre Eingriffe in den öffentlichen Raum eine Art liebevollen Verfremdungseffekt. Das Alltägliche tritt damit in seiner ästhetischen wie in seiner ideellen Dimension nur umso stärker zutage. Wie bei den „Wilden Pferden“, wo die Wahrnehmung auf das sonst wenig Beachtete gelenkt wird, auf das, was gerne übersehen wird, obwohl es doch da ist: das Pferd unter dem Reiter. In diesem Falle mag es für die unterdrückte Kreatur stehen, die gezähmte Natur oder einfach die organische Form. In jedem Fall wird man das alte Denkmalprogramm von Ross und Reiter fortan mit anderen Augen wahrnehmen.

Deutscher Künstlerbund, Rosenthaler Str. 11, Di.–Fr.14–18 Uhr, bis 9. Mai