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Archiv-Artikel

„Die Stunde der Politik ist gekommen“

Deutsche-Bank-Volkswirt: Der durch die US-Bankenkrise entstehende Kreditmangel schadet Deutschland kaum

NORBERT WALTER, 63, ist Chef-Volkswirt der Deutschen Bank.

taz: Herr Walter, wie erklären Sie sich, dass Profibanker so eklatante Fehler machen wie nun in den USA?

Norbert Walter: Viele Banker sind ihren eigenen Illusionen erlegen. Sie glaubten, die Immobilienpreise in den USA würden ewig steigen. Deshalb haben sie Geld an Menschen verliehen, die keinen Kredit hätten bekommen sollen. Dazu kam der Glaube, die Zinsen würden auf Dauer niedrig bleiben. Hier müssen sich die Risikomanager in den Banken und die Aufsichtsbehörden kritisieren lassen. Aber auch die Rating-Agenturen trifft eine Mitschuld, denn sie haben hoch riskante Wertpapiere für Immobilienkredite als sicher bewertet.

Wie hoch schätzen Sie den finanziellen Schaden durch die jetzige Krise ein?

Sicher ist, dass wir es mit einer ausgewachsenen Finanzmarktkrise zu tun haben. Ich würde sie mit der Savings-&-Loans-Krise in den 80ern oder der Asienkrise von 1997/98 vergleichen. Die jetzigen Kosten liegen in einer vergleichbaren Größe.

Werden die Steuerzahler für den Schaden einspringen?

Das ist am Ende für einen Teil wahrscheinlich. Natürlich müssen zuerst die betroffenen Unternehmen und ihre Aktionäre ihren Beitrag leisten. Man sollte aber auch nach strategischen Investoren aus anderen Ländern Ausschau halten, die sich mit frischem Geld bei den Finanzunternehmen einkaufen.

Wie groß werden die Auswirkungen für Europa sein?

Europäische Banken werden bei der Kreditvergabe vorsichtiger werden. Für die Realwirtschaft ist das aber nicht sehr dramatisch, denn deutsche Unternehmen verdienen heute so gut wie nie zuvor. Für ihre Investitionen sind sie momentan kaum auf den Kapitalmarkt angewiesen. Der lang anhaltende Abschwung in den USA wird aber unsere Exporte belasten. Zudem schadet der teure Euro mittelfristig der deutschen Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Anbietern aus dem Dollar-Raum. Firmen könnten dann Teile ihrer Produktion dorthin verlagern, wie es etwa schon BMW getan hat.

Lässt sich das Voranschreiten der Krise beherrschen?

Jetzt ist die Stunde der Politik gekommen. Die US-Zentralbank kann nicht mehr tun, als sie bisher getan hat. Wenn alle Stricke reißen sollten, muss der US-Finanzminister zur Rettung bereitstehen – so, wie er es in der Vergangenheit bereits getan hat. INTERVIEW: TARIK AHMIA