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Archiv-Artikel

Antreten zum Koma-Karaoke

Eigentlich wollte der Bremer Karaoke-DJ Hans Peinemann alias KDJ Hansi 82 Stunden am Stück singen und seine eigene Bestzeit überbieten. Aber nach 39 Stunden Karaoke und reichlich Milch mit Honig war am Mittwoch Morgen Schluss. Den Weltrekord im Karaokesingen hat er trotzdem in der Tasche

Die Zielgruppe für mit Koffein versetzte Biermischgetränke besteht aus übernächtigten Karaoke-DJs

VON ROBERT BEST

Die Vorgeschichte: Im März 2005 wird ein Mann aus einer Bar in Walle getragen, der Krankenwagen steht vor der Tür. Der auf der Bahre ist Hans Peinemann, die Bar (damals noch) seine eigene, und die Krankenpfleger warten schon seit 81 Stunden, 12 Minuten und 34 Sekunden auf ihren Einsatz. Hans Peinemann ist Karaoke-Discjockey. Sein nom de guerre: KDJ Hansi. Sein Anliegen: den Weltrekord im Karaoke-Singen aufstellen. Es galt, einen Japaner zu übertrumpfen, der angeblich 81 Stunden ununterbrochen ein Lied nach dem anderen trällerte. Diese Marke reizte KDJ Hansi, und in der Tat brach er erst zusammen, als er ein paar Minuten darüber lag.

Als wäre das nicht makaber genug, geben die in England residierenden Preisrichter des Guinness-Buches der Rekorde im Anschluss eine weitere Kostprobe schwarzen Humors: Sie erkennen weder KDJ Hansis Marathon noch den des Japaners an. Der Grund: Einige Songs waren kürzer als drei Minuten – Regelverstoß. Kurz darauf holt sich ein Sänger in Wien den Rekord mit einem Nonstop-Gesang von 39 Stunden.

17. März 2008: Hans Peinemann hat sich abermals Großes vorgenommen: von Montagabend bis Freitagmittag will er singen, das Regelwerk des Guinness-Buches hat er gelesen. Und wahrscheinlich muss, wer sich so Großes vornimmt, so verschlafen klingen, wie Peinemann es tut. Als er am Montagmittag das Telefon abnimmt, sagt er: „Tut mir leid, ich kann jetzt nicht mit Ihnen sprechen. Lassen Sie mich noch zwei Stunden schlafen. Ich rufe zurück.“

Zwei Stunden später klingt Peinemann noch immer nicht viel aufgeweckter. „Gestern habe ich mir eine Erkältung eingefangen“, sagt der junge Mann und räuspert sich. „Damit ist nicht zu spaßen.“ Höchstens mit Galgenhumor: „Ich will meinen eigenen Rekord brechen und 82 Stunden singen. Ich darf alle vier Stunden 20 Minuten lang aussetzen und meinen Körper verarschen, so tun, als ob ich eine frische Dusche nehme und geradewegs in den Tag starte.“

Am Montagabend um 19 Uhr betritt KDJ Hansi die Bühne in der Bremer Cocktail-Lounge der Diskothek La Viva am Rembertiring. Seinem ersten Song lauschen an die 100 Gäste. „Let me entertain you“ singt Peinemann als Eröffnung, „weil ich ja Entertainer bin.“

Die Gäste jubeln, wünschen sich neue Lieder, KDJ Hansi hat eine Liste mit mehreren tausend Stücken ausgelegt. Es wird noch voller, die Anwesenden schreiben „Toi toi toi“, und „Heirate mich, Hansi“ ins Gästebuch. „Für Bremen, Deutschland und für euch“, bewirbt die Diskothek dieses „längste Konzert der Welt“.

Gegen Nacht leert sich das La Viva; die erste Schichtübergabe an der Theke findet statt, da hat Peinemann noch keine vier Stunden gesungen; am Dienstagmorgen ist er in den Sessel gesunken. „Bei so langsamen Liedern würde ich im Sitzen einschlafen“, sagt die Dame an der Theke, als DJ Hansi sich durch „High“ von der Lighthouse Family singt: „And at the end of the day, remember the days / When we were close to the end / And wonder how we made it through the night“. Ihm gegenüber eine junge blonde Frau, die ihm zuweilen das Knie tätschelt. Neben ihm ein Präsentkorb mit Medikamenten. „Außer ein paar Glas Wasser und Milch mit Honig“ hat der Entertainer noch nichts zu sich genommen, informiert die Dame an der Theke. Der Türsteher geht zum Rauchen vor die Tür.

24 Stunden später, jetzt ist es raus: Die Zielgruppe für mit Koffein versetzte Biermischgetränke besteht aus übernächtigten Karaoke-DJs. Peinemann hält sich an einer Flasche „Energy-Bier“ fest und strahlt: “Geschafft!“ Die Zeitanzeige in seinem Rücken steht auf 39:04:26. Seine eigene Bestzeit hat er nicht überholt, doch den letzten Song hat er gesungen, als der Weltrekord schon eingestellt war: „Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei.“