: Wer hat Angst vor Hoffenheim?
Der Fußballzweitligist TSG Hoffenheim strebt nach ganz oben. Handelt es sich um das aufregendste Fußballexperiment seit 100 Jahren? Oder muss man als Fußballanhänger das Milliardärsmodell ablehnen, weil es moralisch verwerflich ist und die universale Utopie der Chancengleichheit außer Kraft setzt?
Hoffenheim liegt in Baden-Württemberg, hat 3.700 Einwohner und ist ein Stadtteil von Sinsheim, Rhein-Neckar-Kreis. Nächste Großstadt ist Heidelberg. 1899 Hoffenheim stand Anfang der 90er vor dem Abstieg in die Kreisliga, als der SAP-Gründer Dietmar Hopp sich seines Heimatclubs annahm. Ein steiler Aufstieg begann, der 2007 mit Champions-League-Trainer Ralf Rangnick den Aufstieg in die Zweite Liga brachte. Das Dietmar-Hopp-Stadion wurde 1999 erbaut und fasst 6.350 Zuschauern. Zu wenige für die Bundesliga. Derzeit wird an der A 6 bei Sinsheim das neue Hopp-Stadion (30.000 Zuschauer) gebaut. Es soll 2009 fertig sein. Zweite Liga – die Aufstiegssituation vor dem 25. Spieltag (Ostern): 1. M’gladbach Punkte 47 2. 1899 Hoffenheim 43 3. 1. FSV Mainz 05 41 4. Greuther Fürth 40 5. 1. FC Köln 39 6. SC Freiburg 39 Am Sonntag (14 Uhr) u. a.: Mainz 05 - 1899 Hoffenheim
VON ULRICH FUCHS
Um was geht es hier eigentlich? Um Fußball? Einerseits. Andererseits ganz offensichtlich um mehr. Immer wenn die TSG 1899 Hoffenheim ins Spiel kommt, ist Fußball jedenfalls nicht mehr einfach nur Fußball.
Schon gar nicht am Ostersonntag. Da wird die TSG 1899 Hoffenheim in Mainz antreten. Rein sportlich betrachtet, ein Spitzenspiel der Zweiten Liga. Der Tabellendritte Mainz will unbedingt aufsteigen, Hoffenheim hat als Zweiter ebenfalls beste Aussichten, das zu schaffen. Zusätzlichen Zündstoff erhält die Partie aber aus ganz anderen Gründen. Vor dem Hinspiel hatte der Manager des FSV Mainz, Christian Heidel, einen im Untergrund der Fußballszene schwelenden Diskurs über die TSG Hoffenheim in einem Interview mit der FAS öffentlich gemacht.
„Schade, dass so eine Mannschaft einen der 36 Plätze im Profifußball wegnimmt“, sagte Heidel. Eine Ansicht, die vermutlich noch einmal beträchtlich an Popularität gewinnen wird, wenn den Hoffenheimern tatsächlich der Sprung in die Bundesliga gelingt. Nur: Was steckt eigentlich hinter der abfälligen Formulierung „so eine Mannschaft“? Heidels Antipathie, die er inzwischen aus Gründen fußballpolitischer Opportunität öffentlich revidierte, lässt sich schnell zusammenfassen: Hoffenheim, sagte er, habe einen „Mäzen im Rücken“, was bedeutet: einen Vorteil „gegenüber einem Club, der über Jahre versucht, mit seinem eigenen erwirtschafteten Geld nach oben zu kommen“.
Das kann man so sehen. Beides. Die entscheidende Frage bleibt trotzdem: Ist auch der Schluss zulässig, den Heidel daraus gezogen hat? Anders gesagt: Muss man als politisch korrekter Fußballfan die TSG Hoffenheim eigentlich verachten, oder darf man das zumindest? Und wenn ja, warum?
Womit wir wieder beim Anfang sind: Um was geht es hier eigentlich?
Rein faktisch ist die Geschichte die: Seit 1990 unterstützt Dietmar Hopp die TSG. Hopp hat es als einer der Gründer des Softwareunternehmens SAP zum vielfachen Milliardär gebracht, die TSG 1899 aus dem 3500-Einwohner-Ort Hoffenheim in der Nähe von Heidelberg ist ein Dorfverein, in dem Hopp einst selber gekickt hat. Mit seiner Unterstützung geht es steil bergauf.
Vorläufiger Höhepunkt: Gecoacht vom renommierten Ralf Rangnick, der davor Schalke 04 in die Champions League führte, steigt Hoffenheim im vergangenen Sommer erstmals in die Zweite Bundesliga auf. Dabei lassen Hopp und seine Mitstreiter keinen Zweifel daran, dass nicht die 2., sondern die 1. Bundesliga künftig der dauerhafte sportliche Standort des Clubs sein soll.
Als es zu Beginn der Spielzeit nicht läuft wie gewünscht, werden für 20 Millionen Euro drei junge Spieler aus Brasilien, Senegal und Nigeria verpflichtet. Das bringt die sportliche Wende. Vor dem Rückspiel in Mainz kletterte Hoffenheim am vergangenen Wochenende auf Rang zwei der Zweiten Liga und damit erstmals auf einen Aufstiegsplatz.
Der 20-Millionen-Coup war aber auch die Initialzündung für die Diskussionen über die TSG: Hat sich „Hoppenheim“, wie gegnerische Fans gern höhnen, nun endgültig als unsympathischer Geldsackverein geoutet, der den Erfolg kaufen will, koste es, was es wolle?
Sagen wir so: Wer ein bisschen genauer hinschaut, muss zumindest zugeben, dass die Sache nicht ganz so einfach ist. Hoffenheim tut nichts, was nicht erlaubt ist. Und auch der Mainzer Manager Heidel würde – da darf man sich sicher sein – nicht die Tore verriegeln lassen, hätte ein Milliardär seinen Besuch angekündigt, um anzufragen, wie er dem Club behilflich sein kann.
Trotzdem ist die Frage erlaubt, die als eigentlicher Vorwurf hinter der Antipathie gegen die TSG und ihren Macher steckt: Ist das Hoffenheimer Modell moralisch verwerflich? Heidel hat als Vertreter einer augenscheinlich relevanten Gruppe von Klägern gesprochen, als er mit Ja argumentierte und zur Begründung einen Verstoß gegen die Chancengleichheit und damit eine Art von Wettbewerbsverzerrung angeführt hat. Das zentrale Argument der Beweisführung: Die anderen hätten sich ihr Geld selbst erwirtschaftet, Hoffenheim nicht.
Das klingt auch nach dem Verrat an redlicher Arbeit durch einen an neuen, dubiosen Märkten erworbenen schnellen Reichtum, und es bedient damit Projektionen, die angesichts der sozialen Verwerfungen im Zuge der fortschreitenden Globalisierung prima funktionieren. Faktisch betrachtet, ist es zumindest heikel. Auch der Profifußball ist kapitalistisch organisiert, und der Job seiner Betreiber ist es, sich möglichst viele möglichst lukrative Geldquellen zu erschließen. Ungerechtigkeiten sind dieser Systematik immanent. Ein Beispiel von vielen: der Bau von Stadien, die zu den wichtigsten Einnahmequellen moderner Proficlubs zählen – nicht nur wegen der Erlöse aus dem Ticketing, eine zentrale Rolle spielen auch die Vermarktungsmöglichkeiten durch VIP-Lounges, Werbebanden und Videowände für Werbespots. Auch wenn Profifußballvereine wie Wirtschaftsunternehmen organisiert sind und agieren: Viele dieser modernen Arenen sind von Kommunen und Ländern mitfinanziert. Oder werden das noch.
Auch in Mainz. Am geplanten Stadionneubau beteiligt sich das Land Rheinland-Pfalz mit 12,5 Millionen Euro, die Stadt Mainz nimmt einen zinsgünstigen Kommunalkredit von 40 Millionen Euro auf, der FSV selber steuert 7,5 Millionen Euro bei und wird später als Erstligist 3,3 Millionen Euro Pacht bezahlen, als Zweitligist 2,3 Millionen.
Ein Verstoß gegen die Chancengleichheit? Eine Ungerechtigkeit gegenüber denen, die solche Unterstützungen nicht oder in wesentlich geringerem Umfang erhalten? Sind die Fernsehgelder im deutschen Fußball gerecht verteilt, auch wenn sie die Absteiger aus der Bundesliga wie den FSV Mainz 05 gegenüber seinen Zweitligakonkurrenten deutlich bevorteilen? Und was bedeutet es für den Wettbewerb, dass Vereine wie der VfB Stuttgart und Bayern München in prosperierenden Wirtschaftsregionen angesiedelt sind, während Hansa Rostock und Energie Cottbus objektiv wesentlich weniger Möglichkeiten haben, Einnahmen aus dem regionalen Sponsoring zu generieren?
Keine Frage: Wer im bezahlten Fußball mit dem Prinzip der Chancengleichheit argumentiert, lügt sich in die Tasche – oder er bedient Populismen. Jenseits der Tatsache, dass es beim Anpfiff 0:0 steht, gibt es im Fußball keine Chancengleichheit, auch nicht als Idee. Selbst die Regeln, die sich die Branche gibt, um die Kluft zwischen unten und oben nicht zu weit aufreißen zu lassen, dienen nur einem Ziel: Der sportliche Wettbewerb soll halbwegs attraktiv bleiben, um ihn optimal vermarkten zu können.
Diese kommerzielle Zurichtung des Spiels ist in den letzten zwanzig Jahren kontinuierlich beschleunigt worden. Das Modell Hoffenheim ist ein Feldversuch, der im Kontext dieser Entwicklung eine neue Dimension eröffnet. Dass ein Dorfclub mit einem steinreich gewordenen Exkicker als Mäzen nach oben kommt, bedroht nicht den Fortbestand der traditionellen Fußballwelt. Im Zuge ihrer längst laufenden Umstrukturierung markiert es aber einen neuen Höhepunkt, dass Hopp seinem ehemaligen Dorfverein mit unternehmerischem Kalkül die angestammte Identität genommen hat und dabei ist, ihn in einen Fußballkonzern umzuwandeln.
Was an vielen traditionellen Standorten Stück für Stück vorangetrieben wurde, wird nun auf dem flachen Land aus der Retorte entwickelt. Dietmar Hopp selbst sieht sich ja, was die TSG angeht, auch nicht als Mäzen, sondern als Investor. Was an Kapital in den Club fließt, soll irgendwann als Return on Investment Renditen erwirtschaften. Anders als bei Chelsea, wo der russische Ölmilliardär Roman Abramowitsch zur persönlichen Belustigung mit vielfachem Millioneneinsatz sein Hobby finanziert, läuft in der deutschen Kurpfalz ein durchaus ernst gemeintes Experiment.
Was bei dieser Versuchsanordnung besonders offenbar wird: Fans in einem herkömmlichen Sinn sind im modernen Fußballgeschäft allenfalls noch von marginaler Bedeutung. Obwohl der Dorfclub naturgemäß keine nennenswerte Zahl von Anhängern vorweisen kann, wird im nahe gelegenen Sinsheim derzeit eine 30.000 Menschen fassende Arena errichtet. Gefüllt werden soll sie mit Kunden, die das angebotene Produkt als attraktiv empfinden und deshalb über die Autobahn anreisen. Andernorts ist das jenseits der billigen Plätze in den Fankurven längst auch nicht mehr anders.
Profi-Fußball ist gewinnorientierte Dienstleistung. Aber ist das schlimm?
Im strukturschwachen Kraichgau könnte man sich freuen, wenn das Modell Hoffenheim funktioniert. Steuereinnahmen und positive Einflüsse auf die regionale Ökonomie wären die materiellen Vorteile; zu den ideellen würde die Strahlkraft zählen, die ein florierender Erstligist bis hinein in die zahlreichen kleinen Vereine der Region und deren Jugendabteilungen hätte, wo sozialpolitische Basisarbeit geleistet wird.
Auch rein sportlich gesehen ist das Modell Hoffenheim zumindest spannend. Sein Leiter Ralf Rangnick ist einer der Protagonisten eines zeitgemäßen Konzeptfußballs in Deutschland. In Hoffenheim will er mit innovativen Ansätzen und dem Schwerpunkt Ausbildungsarbeit neue Maßstäbe setzen. Auch wenn die Konkurrenz verbittert reagierte – selbst die 20-Millionen-Euro- Zukäufe zu Saisonbeginn vertritt man mit nachvollziehbaren Argumenten als konzepttreue Maßnahme: Keiner der jungen Männer ist älter als 22, alle haben damit noch den Status von Talenten und sollen bei späteren Wechseln mehr einspielen, als sie gekostet haben. Bleibt die Frage: Wie viel Gewinnmaximierungsdenken und -handeln verträgt der Fußball, bevor er mit der Identität auch seine Faszination verliert? Die Frage stellt sich nicht nur in Hoffenheim, und wer ehrlich ist, weiß: Gültige Antworten gibt es noch keine. Eher viele Fragen.
Weshalb man manchmal ganz froh ist, wenn das Spiel angepfiffen wird, und es nur noch um Fußball geht.
ULRICH FUCHS ist mit Christoph Biermann Autor des Fußball-Standardwerks „Der Ball ist rund, damit das Spiel die Richtung ändern kann“